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28 das letzte Streben alles unsers menschlichsten Bemühens nur auf das Ent decken, Nähren, und Erschaffen des einzig wahrhaft Existirenden, obgleich in seiner Urgestalt ewig Unsichtbaren, in uns und Andern gerichtet ist; wenn es allein das ist, dessen Ahnung uns jedes seiner Symbole so theuer und heilig macht: so treten wir ihm einen Schritt näher, wenn wir das Bild seiner ewig regen Energie anschauen. Wir reden gleichsam mit ihm in schwerer, oft unverstandener, aber auch oft mit der gewissesten Wahr heitsahnung überraschender Sprache; indeß die Gestalt — wieder, wenn ich so sagen darf, das Bild jener Energie — weiter von der Wahrheit entfernt ist. Auf diesem Boden, wenn nicht allein, doch vorzüglich, blüht auch das Schöne, und noch weit mehr das Erhabne auf, das den Menschen der Gottheit gleichsam noch näher bringt. Die Nothwendigkeit eines reinen, von allen Zwecken entfernten Wohlgefallens an einem Gegenstände, ohne Begriff, bewährt ihm gleichsam seine Abstammung von dem Unsichtbaren, und seine Verwandtschaft damit; und das Gefühl seiner Unangemessen heit zu dem überschwenglichen Gegenstände verbindet, auf die menschlich göttlichste Weise, unendliche Größe mit hingebender Demuth. Ohne das Schöne fehlte dem Menschen die Liebe der Dinge um ihrer selbst willen; ohne das Erhabene der Gehorsam, welcher jede Belohnung verschmäht und niedrige Furcht nicht kennt. Das Studium des Schönen gewährt Geschmack; des Erhabnen — wenn es auch hierfür ein Studium giebt, und" nicht Gefühl und Darstellung des Erhabenen allein Frucht des Genie's ist — richtig abgewägte Größe. Der Geschmack allein aber, dem allemal Größe zum Grunde liegen muß, weil nur das Große des Maaßes, und das Gewaltige der Haltung bedarf, vereint alle Töne des vollge stimmten Wesens in Eine reizende Harmonie. Er bringt in alle unsre, auch bloß geistige, Empfindungen und Neigungen so etwas Gemäßigtes, Gehaltues, auf Einen Punkt hin Gerichtetes. Wo er fehlt, da ist die sinnliche Begierde roh und ungebändigt; da haben selbst wissenschaftliche Untersuchungen vielleicht Scharfsinn und Tieffinn, aber nicht Feinheit, nicht Politur, nicht Fruchtbarkeit in der Anwendung. Ueberhaupt sind ohne ihn die Tiefen des Geistes, wie die Schätze des Wissens, todt und unfruchtbar; ohne ihn der Adel und die Stärke des moralischen Willens selbst rauh und ohne erwärmende Segenskraft. Forschen und Schaffen — darum drehen, und darauf beziehen sich wenigstens, wenn gleich mittelbarer oder unmittelbarer, alle Beschäftigungen des Menschen. Das Forschen, wenn es die Gründe der Dinge oder die Schranken der Vernunft erreichen soll, setzt, außer der Tiefe, einen mannigfaltigen Reichthum und eine innige Erwärmung des Geistes, eine Anstrengung der vereinten menschlichen Kräfte, voraus. Nur der bloß analytische Philosoph kann vielleicht durch die einfachen Operationen der nicht bloß ruhigen, sondern auch kalten Vernunft seinen Endzweck er reichen. Allein, um das Band zu entdecken, welches synthetische Sätze verknüpft, ist eigentliche Tiefe, und ein Geist erforderlich, welcher allen seinen Kräften gleiche Stärke zu verschaffen gewußt hat. So wird Kant's — man kann wohl mit Wahrheit sagen — nie übertroffener Tieffinn noch oft in der Moral und Aesthetik der Schwärmerei beschuldigt werden, wie er es schon ward; und — wenn mir das Geständniß erlaubt ist — wenn mir selbst einige, obgleich seltene, Stellen (ich sühre hier, als ein