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— 27 — man diesen Mangel leicht, da sie — jene vorhin bemerkte Vielseitig keit noch abgerechnet — dem innern wahren Menschen gleichsam am nächsten tritt, den Gedanken, wie die Empfindung, mit der leichtesten Hülle bekleidet. Die energisch wirkenden sinnlichen Empfindungen, — denn, nur um diese zu erläutern, rede ich hier von Künsten — wirken wiederum ver schieden: theils nachdem ihr Gang wirklich das abgemessenste Verhältniß hat, theils je nachdem die Bestandtheile selbst (gleichsam die Materie) die Seele stärker ergreifen. So wirkt die gleich richtige und schöne Menschen stimme mehr als ein todtes Instrument. Nun aber ist uns nie etwas näher, als das eigne körperliche Gefühl. Wo also dieses selbst mit im Spiele ist, da ist die Wirkung am höchsten. Aber, wie immer die un- verhöltnißmäßige Stärke der Materie gleichsam die zarte Form unter drückt, so geschieht es auch hier oft; und es muß also zwischen beiden ein richtiges Verhältniß sein. Das Gleichgewicht bei einem unrichtigen Verhältniß kann hergestellt werden durch Erhöhung der Kraft des einen oder Schwächung der Stärke des andern. Allein, es ist immer falsch, durch Schwächung zu bilden: oder die Stärke müßte dann nicht natürlich, sondern erkünstelt sein; wo sie das nicht ist, da schränke man sie nie ein. Es ist besser, daß sie sich zerstöre, als daß sie langsam Hinsterbe. — Doch genug hiervon. Ich hoffe, meine Idee hinlänglich erläutert zu haben: ob gleich ich gern die-Verlegenheit gestehe, in der ich mich bei dieser Unter suchung befinde, da auf der einen Seite das Interesse des Gegenstandes, und die Unmöglichkeit, nur die nöthigen Resultate aus andern Schriften — da ich keine kenne, welche gerade aus meinem gegenwärtigen Gesichts punkte ausginge — zu entlehnen, mich einlud, mich weiter auszudehnen: und auf der andern Seite die Betrachtung, daß diese Idee nicht eigentlich für sich, sondern nur als Lehnsätze hieher gehören, mich immer in die ge hörigen Schranken zurück wies. Die gleiche Entschuldigung muß ich auch bei dem nun folgenden nicht zu vergessen bitten. Ich habe bis jetzt — obgleich eine völlige Trennung nie möglich ist — von der sinnlichen Empfindung nur als sinnlicher Empfindung zu reden versucht. Aber Sinnlichkeit und Unfinnlichkeit verknüpft ein ge- heimnißvolles Band; und wenn es unserm Auge versagt ist, dieses Band zu sehen, so ahnet es unser Gefühl. Dieser zweifachen Natur der sicht baren und unsichtbaren Welt, dem angebornen Sehnen nach dieser und dem Gefühl der gleichsam süßen Unentbehrlichkeit jener, danken wir alle wahrhaft aus dem Wesen des Menschen entsprungene, konsequente, philo sophische Systeme; so wie eben daraus auch die sinnlosesten Schwärme reien entstehen. Ewiges Streben, beide dergestalt zu vereinen, daß jede so wenig als möglich der andern raube, schien mir immer das wahre Ziel des menschlichen Weisen. Unverkennbar ist überall dies ästhetische Gefühl, mit dem uns die Sinnlichkeit Hülle des Geistigen, und das Geistige belebendes Princip der Sinnenwelt ist. Das ewige Studium dieser Physiognomik der Natur bildet den eigentlichen Menschen. Denn nichts ist von so ausgebreiteter Wirkung aus den ganzen Charakter, als der Ausdruck des Unsinnlichen im Sinnlichen; des Erhabenen, des Ein fachen, des Schönen, in allen Werken der Natur und Produkten der Kunst, die uns umgeben. Und hier zeigt sich zugleich wieder der Unterschied der energisch wirkenden und der übrigen sinnlichen Empfindungen. Wenn