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Gluth war. Überhaupt vermag mit Energie nie der zu wirken, der mit allen Kräften auf Einmal gleichmäßig wirken soll. Mit der Energie adcr schwindet jede andere Tugend hin. Ohne sie wird der Mensch Maschine. Man bewundert, was er thut; man verachtet, was er ist. — Lassen Sie uns einen Blick auf die Geschichte der Staatsverfassungen werfen. Wir werden in keiner einen nur irgend hohen Grad durchgängiger Vollkommenheit finden; allein von den Vorzügen, die das Ideal eines Staates alle vereinen müßte, werden wir auch in den verderbtesten immer einen oder den andern entdecken. Die erste Herrschaft schuf das Bedürf nis;. Man gehorchte nie länger, als man entweder den Herrscher nicht ent behren, oder ihm nicht widerstehen konnte. Dies ist die Geschichte aller, auch der blühendsten alten Staaten. Eine dringende Gefahr nöthigte die Nation, einem Herrscher zu gehorchen. War die Gefahr vorüber, so strebte jene das Joch abzuschütteln. Allein oft hatte sich der Herrscher zu sehr festgesetzt, ihr Ringen war vergebens. — Dieser Gang ist auch der mensch lichen Natur völlig angemessen. Der Mensch vermag außer sich zu wirken und sich in sich zu bilden. Bei dem ersteren kömmt es bloß auf Kraft und zweckmäßige Richtung derselben an; bei dem letzteren auf Selbst- thätigkeit. Daher ist zu diesem Freiheit; zu jenem, da mehrere Kräfte nie besser gerichtet werden, als wenn Ein Wille sie lenkt, Unterwürfig keit nothwendig. Dies Gefühl unterwarf die Menschen der Herrschaft, sobald sie wirken wollten; aber das höhere Gefühl ihrer inneren Würde erwachte, wenn dieser Zweck nun erreicht war. Ohne diese Betrachtung würde es auch nie begreiflich sein, wie derselbe Römer in der Stadt dem Senate Gesetze vorschrieb, und im Lager seinen Rücken willig den Streichen der Centurionen darbot. Aus dieser Beschaffenheit der alten Staaten ent springt es, daß, wenn man unter Systemen absichtliche Plane versteht, sie eigentlich gar kein politisches System hatten; und daß, wenn wir jetzt bei politischen Einrichtungen philosophische oder politische Gründe angeben, wir bei ihnen immer nur historische finden. Diese Verfassung dauerte bis ins Mittelalter hin. Zu dieser Zeit, da die tiefste Barbarei alles überdeckte, mußte, sobald sich mit dieser Bar barei Macht vereinte, der ärgste Despotismus entstehen: und billig hätte man der Freiheit ihren gänzlichen Untergang verkündigen sollen. Allein der Kamps der Herrschsüchtigen untereinander erhielt sie. Nur konnte frei lich, bei dieser gewaltsamen Lage der Sachen, Niemand selbst frei sein, der nicht zugleich Unterdrücker der Freiheit der Andern war: Das Lehns system war es, in welchem die ärgste Sklaverei und ausgelassene Freiheit unmittelbar neben einander existirten. Denn der Vasall trotzte dem Lehns herrn nicht minder, als er seine Unterthauen unmenschlich bedrückte. Die Eifersucht des Regenten auf die Macht der Vasallen schuf diesen ein Gegen gewicht in den Städten und dem Volke; und endlich gelang es ihm, sie zu unterdrücken. Statt daß nun ehemals doch Ein Stand voxöt der Frei heit gewesen war, war jetzt alles Sklav: alles diente nur den Absichten des Regenten allein. Dennoch gewann die Freiheit. Denn da das Volk mehr dem Regen ten, als dem Adel unterworfen war; so verschaffte schon die weitere Ent fernung von jenem mehr Luft. Dann konnten jene Absichten auch nicht so füglich mehr, wie sonst, unmittelbar durch die physischen Kräfte der Unterthanen — woraus vorzüglich die persönliche Sklaverei entstand — er- Wilh. v. Humboldt, Abhanbl. Uber Geschichte u. Politik. 2