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rischen stattfinden, und es fragt sich nur, ob und welche Ideen es giebt, die den Geschichtschreiber zu leiten im Stande sind? Hier aber fordert das weitere Vorschrciten große Behutsamkeit, damit nicht schon die bloße Erwähnung von Ideen die Reinheit der geschichtlichen Treue verletze. Denn wenn auch der Künstler und Geschichtschreiber beide darstellend und nachahmend sind, so ist ihr Ziel doch durchaus verschieden. Jener streift nur die flüchtige Erscheinung von der Wirklichkeit ab, berührt sie nur, um sich aller Wirklichkeit zu entschwingen; dieser sucht bloß sie, und muß sich in sie vertiefen. Allein gerade darum, und weil er sich nicht begnügen kann bei dem losen äußern Zusammenhänge des Einzelnen, son dern zu dem Mittelpunkt gelangen muß, aus dem die wahre Verkettung verstanden werden kann, so muß er die Wahrheit der Begebenheit auf einem ähnlichen Wege suchen, als der Künstler die Wahrheit der Gestalt. Die Ereignisse der Geschichte liegen noch viel weniger, als die Erscheinun gen der Sinnenwelt, so offen da, daß man sie rein abzulesen vermöchte; ihr Verständniß ist nur das vereinte Erzeugniß ihrer Beschaffenheit und des Sinnes, den der Betrachter hinzubringt, und wie bei der Kunst, läßt sich auch bei ihnen nicht Alles durch bloße Verstandesoperation, eines aus dem' andern logisch herleiten und in Begriffe zerlegen; man faßt das Rechte, das Feine, das Verborgene nur auf, weil der Geist richtig, es aufzufassen, gestimmt ist. Auch der Geschichtschreiber, wie der Zeichner, bringt nur Zerrbilder hervor, wenn er bloß die einzelnen Umstände der Begebenheiten, sie so, wie sie sich scheinbar darstellen, an einander reihend, aufzeichnet; wenn er sich nicht strenge Rechenschaft von ihrem inneren Zu sammenhänge giebt, sich die Anschauung der wirkenden Kräfte verschafft, die Richtung, die sie gerade in einem bestimmten Augenblicke nehmen, er kennt, der Verbindung beider mit dem gleichzeitigen Zustande und den vorhergcgangenen Veränderungen nachforscht. Um dies aber zu können, muß er mit der Beschaffenheit, dem Wirken, der gegenseitigen Abhängig keit dieser Kräfte überhaupt vertraut sein, wie die vollständige Durch suchung des Besonderen immer die Kenntniß des Allgemeinen voraussetzt, unter dem es begriffen ist. In diesem Sinne muß das Auffassen des Ge schehenen von Ideen geleitet sein. Es versteht sich indeß freilich von selbst, daß diese Ideen aus der Fülle der Begebenheiten selbst hervorgehen, oder genauer zu reden, durch die mit echt historischem Sinne unternommene Betrachtung derselben im Geiste entspringen, nicht der Geschichte, wie eine fremde Zugabe, geliehen werden müssen, ein Fehler, in welchen die sogenannte philosophische Ge schichte leicht verfällt. Ueberhaupt droht der historischen Treue viel mehr Gefahr von der philosophischen, als der dichterischen Behandlung, da diese wenigstens dem Stoffe Freiheit zu lassen gewohnt ist. Die Philosophie schreibt den Begebenheiten ein Ziel vor; dies Suchen nach Endursachen, man mag sic auch aus dem Wesen des Menschen und der Natur selbst ableiten wollen, stört und verfälscht alle freie Ansicht des eigenthümlichen Wirkens der Kräfte. Die teleologische Geschichte erreicht auch darum nie mals die lebendige Wahrheit der Weltschicksale, weil das Individuum seinen Gipfelpunkt immer innerhalb der Spanne seines flüchtigen Daseins finden muß, und sie daher den letzten Zweck der Ereignisse nicht eigentlich in das Lebendige setzen kann, sondern es in gewissermaßen todten Einrichtungen und dem Begriffe eines idealen Ganzen sucht; sei es in allgemein werden-