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hält, ist die notwendige Grundlage der Geschichte, der Stoff zu derselben, aber nicht die Geschichte selbst. Dabei stehen bleiben, hieße die eigentliche, innere, in dem ursächlichen Zusammenhang gegründete Wahrheit einer äußeren, buchstäblichen, scheinbaren aufopfern, gewissen Jrrthum wählen, um noch ungewisser Gefahr des Jrrthums zu entgehen. Die Wahrheit alles Ge schehenen beruht auf dem Hinzukommen jenes oben erwähnten, unsicht baren Theils jeder Thatsache, und diesen muß daher der Geschichtschreiber hinzufügen. Von dieser Seite betrachtet, ist er selbsttätig, und sogar schöpferisch, zwar nicht indem er hervorbringt, was nicht vorhanden ist, aber indem er aus eigner Kraft bildet, was er, wie es wirklich ist, nicht mit bloßer Empfänglichkeit wahrnehmen konnte. Auf verschiedene Weise, aber eben so wohl, als der Dichter, muß er das zerstreut Gesammelte in sich zu einem Ganzen verarbeiten. Es mag bedenklich scheinen, die Gebiete des Geschichtschreibers und Dichters sich auch nur in einem Punkte berühren zu lassen. Allein die Wirksamkeit beider ist unläugbar eine verwandte. Denn wenn der elftere, nach dem Vorigen, die Wahrheit des Geschehenen durch die Darstellung nicht anders erreicht, als indem er das Unvollständige und Zerstückelte der unmittelbaren Beobachtung ergänzt und verknüpft, so kann er dies, wie der Dichter, nur durch die Phantasie. Da er aber diese der Erfahrung und der Ergründung der Wirklichkeit unterordnet, so liegt darin der, jede Gefahr aufhebende, Unterschied. Sie wirkt in dieser Unterordnung nicht als reine Phantasie, und heißt darum richtiger Ahndungsvermögen und VerknüpfungSgabe. Doch wäre hiermit allein der Geschichte noch ein zu niedriger Standpunkt angewiesen. Die Wahrheit des Geschehenen scheint wohl einfach, ist aber das Höchste, was gedacht werden kann. Denn wenn sie ganz errungen würde, so läge in ihr enthüllt, was alles Wirkliche, als eine nothwendige Kette, bedingt. Nach dem Nothwendigen muß daher auch der Geschichtschreiber streben, nicht den Stoff, wie der Dichter, unter die Herrschaft der Form der Nothwendigkeit geben, aber die Ideen, welche ihre Gesetze sind, unverrückt im Geiste behalten, weil er, nur von ihnen durchdrungen, ihre Spur bei der reinen Erforschung des Wirklichen in seiner Wirklichkeit finden kann. Der Geschichtschreiber umfaßt alle Fäden irdischen Wirkens und alte Gepräge überirdischer Ideen; die Summe des Daseins ist, näher oder entfernter, der Gegenstand seiner Bearbeitung, und er muß daher auch alle Richtungen des Geistes verfolgen. Spekulation, Erfahrung und Dich tung sind aber nicht abgesonderte, einander entgegengesetzte und beschrän kende Thätigkeiten des Geistes, sondern verschiedene Strahlseiten derselben. Zwei Wege also müssen zugleich Angeschlagen werden, sich der histo rischen Wahrheit zu nähern, die genaue, parteilose, kritische Ergründung des Geschehenen, und das Verbinden des Erforschten, das Ahnden des durch jene Mittel nicht Erreichbaren. Wer nur dem ersten dieser Wege folgt, verfehlt das Wesen der Wahrheit selbst; wer dagegen gerade diesen über den zweiten vernachlässigt, läuft Gefahr sie im Einzelnen zu verfäl schen. Auch die schlichte Naturbeschreibung kommt nicht aus mit der Her zählung und Schilderung der Theile, dem Messen der Seiten und Winkel; es liegt noch ein lebendiger Hauch auf dem Ganzen, es spricht ein innerer Charakter aus ihm, die sich beide nicht messen, nicht bloß beschreiben lassen. Auch sie wird zu dem zweiten Mittel zurückgedrängt, welches für