XXXIII Es entstand nun eine Opposition im Staatsministerium, deren Spitze Humboldt war, und welcher außerdem der Großkanzler von Beyme und der Kriegsminister von Boyen angehörten. Die Bemühungen dieser Drei waren angestrengt, energisch, nichtsdestoweniger erfolglos und endigte mit ihrem Austritt aus dem Staatsdienst. Am 31. Dezember 1819 ward die Entlassung Humboldt's aus dem Ministerium vom König unterzeichnet p er schlug die ihm angebotene Pension von 6000 Thalern aus und trat ins Privatleben zurück. In Preußen ging die Reaktion ihren rüstigen Gang sicher und unaufhaltsam vorwärts; die Ecksteine waren von den Bauleuten verworfen worden. Statt jener redlichen und denkenden Männer drängte sich eine Coterie frivoler Junker immer mehr in die Umgebung des Königs und gewann Einfluß auf die Geschicke des Staats. Mit Ruhe und innerer Befriedigung konnte Humboldt auf seine diplomatische und staatsmännische Laufbahn zurückblicken. War es ihm auch nicht gelungen, seine Ideen in die Erscheinung treten zu lassen, so gab es doch keinen Punkt während seiner langen Wirksamkeit, wo auch nur der geringste Vorwurf am ihm hätte haften können. Es giebt in der That für solch ein Wirken und Thun nur Einen entsprechenden Ausdruck, und der ist schon angeführt worden: er war ein Staatsmann von Perikleischer Hoheit! Sein Andenken als Minister und Diplomat ist bis jetzt wenigstens noch durch keinen seiner Nachfolger in Schatten gestellt worden, und wird in jedem Falle immer gesegnet bleiben. Mit Freude trat Humboldt in die Ruhe des Privatlebens zurück, er mochte fühlen, daß seine wissenschaftliche Mission noch nicht beendet sei. Und in der That verdanken wir diesen nun folgenden 16 Jahren seines Lebens, welche ihm allein gehörten, und die er dem unausgesetzten Studium widmete, die wichtigsten wissenschaftlichen Resultate, derentwegen allein, selbst wenn wir von Humboldt sonst nichts wüßten, ihm einer der ersten Plätze in dem Tempel deutscher Wissenschaft gesichert wäre. Humboldt's linguistische Forschungen sind allgemein als epochemachend in der Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft hingestellt worden; mit I. Grimm und Franz Bopp pflegt man ihn zusammen zu nennen und bezeichnet damit ein erhabenes Triumvirat tiefer und unermüdlicher Forscher, auf deren Schultern dann eine an Resultaten der wunderbarsten Art reiche Wissen schaft sich stützt. — Eine seiner ersten Arbeiten in jener Zeit willkommener Muße ist der erste Aufsatz in unserer Sammlung: „lieber die Aufgabe des Ge schichtschreibers", in welcher er uns Rechenschaft giebt von der Methode seines wissenschaftlichen Forschens, wie sie sich ihm nach langem Streben unter dem Einfluß der Kantischen Philosophie festgestellt hatte. Denn „Geschichte" ist hier in einem weiteren als dem gewöhnlichen Sinne zu nehmen und bezieht sich, ganz in der vortrefflichen etwas später von Böckh aufgestellten Definition, aus jede Rekonstruktion von etwas schon Dagewesenen, aus das Wiedererkennen von etwas schon Erkannten. Er bricht in dem genannten Aufsatze zum ersten Male theoretisch der Ansicht Bahn, die freilich jetzt nicht mehr überrascht, da sie schon in suooum et 8a.n§nin6m der modernen Wissenschaft übergegangen ist, daß das partei lose, kritische Ergründen des Geschehenen nur Eine Seite der historischen Wissenschaften ist und daß in jedem Falle die andere hinzu kommen muß, Wilh. v. Humboldt, Abhandl. über Geschichte u. Politik. 6