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XX'VII seiner Rückkehr von England wieder in engeren Verkehr mit Stein ge treten, der bisher unthätig und unzufrieden dem Gang der Verhältnisse zugeschaut hatte, und der, als man doch mit der Verfafsungsfrage Ernst zu machen und sogar einen Humboldt (den er selbst einen „geistvollen, geschäftserfahrenen, arbeitsamen, gutgesinnten Mann" nennt) mit der Aus führung dieses wichtigen Geschäfts betrauen zu wollen schien, ebenfalls wieder sich zu thätiger Theilnahme entschloß. Die eventuelle neue Con stitution seines Vaterlandes war seit langem der Gegenstand seines Nach denkens und seiner Pläne gewesen, und es war ihm deßhalb äußerst er wünscht, daß sich im preußischen Ministerium ein Mann fand, mit welchem er über diesen Gegenstand sich besprechen und dem er das reiche Material, das er darüber gesammelt hatte, mittheilen konnte. Unter dem Eindruck des Verkehrs mit Stein und auf Grund seiner eigenen, seit Jahren ge hegten und fort und kort weitergebildeten Ideen arbeitete nun Humboldt jene schon erwähnte Frankfurter Denkschrift über Preußens stän dische Verfassung aus, welche in der vorliegenden Sammlung von Seite 5i zu finden ist. Es ist dies ein Schriftstück von außerordentlichem historischen und persönlichen Interesse. Einmal nämlich ist es für uns äußerst lehrreich, setzt nach langem und wenig erfolgreichen Verfassungs kampf zu sehen, wie sich die Ideen, nach deren Realisirung wir noch streben, zum ersten Male in dem Kopse eines kühlen, originellen, redlichen und unbestochcnen Staatsmannes gestalteten. Ferner aber ist grade Liese Denkschrift zum Verständnis) von Humboldt's staatsmünnischer Wirksam keit und Begabung ein außerordentlich wichtiger Beitrag. Wir haben in ihr gleichsam sein politisches Glaubensbekenntniß, und nach der Seite seiner öffentlichen Wirksamkeit hin einen wesentlichen Faktor zu seiner Schätzung. Unabweisbar und von größtem Interesse ist aber ein Vergleich zwischen jenem Aufsatz über die Grenzen der Staatswirksamkeit, den Humboldt, der Jüngling, ohne eigentliche Kenntnisse der realen Ver hältnisse als das Produkt seiner Ideen niederschrieb und diesem Verfassungs entwurf des Humboldt, der auf eine lange, den Wissenschaften und dem öffentlichen Leben gewidmete Wirksamkeit zurücksah. Siebenundzwanzig Jahre liegen zwischen beiden Zeitpunkten, und Jahre der eifrigsten, pflicht getreusten Thätigkeit in den verschiedensten Zweigen des Staatsdienstes. Er hatte seitdem die reichsten Erfahrungen gesammelt, sowol erfreulicher als auch viele unerfreulicher Art; er hatte in seinen Ansichten über die Art und Weise, wie das ihm vor der Seele schwebende Ziel zu er reichen sei, manche Aenderung vornehmen müssen: über das Ziel selbst ist er sich und seinen Idealen treu geblieben. Sein Ideal war die freie Bürgerschaft in dem constitutionellen Staate. In jener Abhandlung nun über die Grenzen der Staatswirksamkeit spricht er unverholen als den Kern seiner politischen Ueberzeugung aus, daß die Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung zu dem wahren Zweck des Menschen ist. Dieser höchste Zweck aber ist kein anderer, als „die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen", Vorbedingung dieser Freiheit aber ist Sicherheit; oder vielmehr Sicherheit ist die Freiheit selbst nur von ihrer negativen Seite betrachtet. Folglich ist diese äußere Sicherheit die zu fordernde Be dingung zur Erreichung des höchsten menschlichen Zweckes. Und diese