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XVII daS Studium der klassischen Dichtung näherte Humboldt, den Idealisten, der realistischen Weitbetrachtung Göthes. So stehen Humboldt und Schiller sich wie der Forscher dem Dichter gegenüber, wie das unendlich reiche und vielseitige Individuum dem vorzugsweise großen und tdealischen, wie der heut beschaulich grübelnde, morgen lebenskräftige, hier tapfer kämpfende, dort unerschöpflich humane Geist, dem immer auf Ein Höchstes gewandten, immer thatkräftigen und, mitten in Reflexion und Kritik sogar, immer energischer Genius." ') — Es verbietet sich uns leider, auf jene Jahre hier genauer einzugehen. Diese Zeit, in weicher die fruchtbare Berührung der genannten drei großen Geister in Jena und Weimar stattfand, erwartet noch ihren Spezial historiker, so reich an Interesse, von solcher Wichtigkeit für die Geschichte der Literatur und Kultur ist sie. Auch die Arbeiten Humboldt's aus jenen Jahren, namentlich ästhetischer Art, sowie seine sonstigen Pläne und Ent würfe müssen wir hier unberührt lassen, um Zeit und Raum für spätere Jahre seines Lebens zu gewinnen. Nach langer, an Thätigkeit und Studien aller Art reichen Muße sehnte sich Humboldt nach Abwechselung und praktischer Beschäftigung. Der Reisetrieb, die unbezwnngene alte Leidenschaft der germanischen Race, er wachte mächtig in ihm, und Italien, seit den Tagen der Cimbcrn das Ziel der deutschen Wanderlust, war auch für ihn das gelobte Land, nach welchem er seinen ersten wissenschaftlichen Kreuzzug zu unternehmen ge dachte. Die Ausführung seiner Pläne wurde zunächst verzögert durch die Krankheit seiner Mutter; als diese im November 1796 gestorben war, faßte er seinen Plan fest ins Auge und machte die gründlichsten philologi schen und archäologischen Studien. Wolf und Göthe gingen ihm dabei mit Büchern, Empfehlungen nach Italien und Rathschlügen zur Hand. Im Sommer 1797 verweilte er lange Zeit in Dresden, wo er Freund schaft schloß mit Körner, an den er durch Schiller gewiesen war; obwohl grade das ästhetische Urtheil Beide sehr von einander abwich. Von da gings südwärts; im August finden wir ihn in Wien, von dort wollte er die Alpen übersteigen, — als die kriegerischen Verhältnisse ihn zwangen, seinen Plan ganz aufzugeben. Die französischen Armeen, die Unsicherheit des Verkehrs, die Raubgier Bonapartes hätten ihm ein ungestörtes Ge nießen der Kunst und Natur jenes Landes unmöglich gemacht. Er ging deshalb zunächst nach Paris und zwar ebenfalls mit seiner Familie, denn seine materiellen Verhältnisse waren besonders seit dem Tode seiner Mutter so glänzend, daß der sonst so kostspielige Aufenthalt in Paris und die Reise selbst für ihn leicht zu bewerkstelligen waren. Bis zum Anfang deS neuen Jahrhunderts behielt er seinen festen Wohnsitz in der Hauptstadt an der Leine, wenn er auch inzwischen Ausflüge nach dem südlichen Frank reich und Spanien machte, und dort beim Studium des BaSkischen den ersten Grund zu seinen später so wichtigen linguistischen Forschungen legte. Die Philologie selbst hatte er keineswegs aufgegeben, Pindar studirte er nach wie vor aufs eifrigste und mit seiner Gattin las er Abends den Homer. Es versteht sich von selbst, daß auch im Ausland die gebil detsten und tüchtigsten Männer seinen Umgang suchten, so daß sein Haus in Kurzem der Sammelpunkt wurde sowohl der ersten französischen Ge ll Schlesier I. S. 278 ff. Wilh. ».Humboldt, Alchandl. über Geschichte u. Politik. b