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XVI lichen Hoheit der Anschauung und dem kühnsten Gedankanflug Klarheit des Bewußtseins und den heißen Drang nach steter Selbstvervollkommnung verband. „Schiller und Humboldt waren ursprünglich verwandte Naturen. Theilweise in ihren Anlagen, mehr noch in ihren Charakteren, besonders aber in der Richtung ihres Geistes stehen Beide einander unendlich näher, als Göthen, der in gewissem Sinne der Gegensatz Beider, das Objekt ihrer Betrachtung der gemeinschaftliche Anziehungspunkt war. Dieser genialen, instinktmäßig wirkenden, nur künstlerisch strebsamen Natur gegen über erscheinen Humboldt und Schiller beinahe wie Eine Person, und dennoch näher betrachtet sind sie auch wieder sehr bestimmt zu unter scheidende Individuen. Jeder von ihnen bewahrt bei größerer Annäherung seine Eigenthümlichkeit; und nicht bloß da, wo die Fähigkeit sie schied, sondern selbst, wo sie die größte Gemeinschaftlichkeit bewirkte, läßt sich die Eigenart eines Jeden leicht erkennen. — Neben dem Geiste der Reflexion war Schillern eine mächtige poetische Ader zu Theil geworden; ihn drängte es jederzeit, das, was er aus dem Schachte des Gedankens emporhob, als bald auch in dichterischen Formen und Gestalten zu schmelzen. Humboldt dagegen, obwohl keineswegs aller poetischen Mitgift baar, war doch so überwiegend auf die Kraft des Gedankens gewiesen, daß erstere nur wie eine rein persönliche und gemüthliche Zugabe erscheint. Schiller ringt, den Denker im Dichter aufgehen zu lassen; Humboldt versenkt sich mit den Jahren immer tiefer in die Spekulation, in die unendliche Breite der Wissenschaft. Nur nebenher regt sich in ihm das Bedürfniß, die innersten Gefühle und Gedanken in dichterischer Unmittelbarkeit auszusprechen, aber er thut dies zur bloßen Selbstbefriedigung; ausnahmsweise, um einen Ver trauten seines Herzens mit dem Ausdruck solcher Empfindungen zu über raschen, meist aber, die Erzeugnisse solcher Stunden wie Kinder der Liebe verheimlichend. Wenn Schiller seine Denkernatur auf den Boden der Kunst zu verpflanzen strebt, behält sie dennoch, auch wo sie selbständig wirkt, mitsammt der Größe und Energie stets jenen eigenthümlich selbst herrschenden und großartig individuellen Charakter, der sic im Ganzen so bewunderungswürdig als im Einzelnen schroff und manchmal einseitig macht. Man kann ganz und gar nicht behaupten, daß Schiller, als er sich anscheinend ganz der poetischen Praxis hingab, im Allgemeinen gegen die Welt der Erscheinungen nachgiebiger, oder etwas indifferent gegen die Welt des Gedankens, gegen das Gesetz geworden wäre. Was er nachgab, gab er nur, so viel ihm möglich, der Welt des Dichters, den reinen Ge setzen des poetischen Schaffens, Vem Dichtercharakter, man könnte sagen, der Eigenthümlichkeit und den angeborenen Vorzügen seines Freundes Göthe nach, doch keineswegs änderte er damit seine Weltbetrachtung und Beurtheilung überhaupt. Humboldt dagegen verband von vornherein mit einer einseitigeren Fähigkeit auch die größere Hingebung und Bildsamkeit, die gewöhnlich sie begleiten. Nicht daß er die höchsten Prinzipien, daß er das Ideal geopfert hätte; nein, an dieser Welt der Ideen hielt er fest, wie Schiller, allein er bereicherte und vollendete sie unablässig ans der tieferen und breiteren Anschauung der Wirklichkeit, er verknüpft mit dem Streben nach oben einen vielseitigeren Blick nach allen Seiten; neben der entschiedensten Willensstärke genoß und übte er die Gabe reinster Empfäng lichkeit. Eine umfassendere Kenntniß der Natur und vielseitiger und großer Menschheitszustände, vor Allem der antiken Welt- nicht weniger