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Mirr XIII calm Umwälzungen, hervorgerufen durch die Kantische Philosophie auf geistigem Gebiete, und den parallel laufenden staatlichen und socialen Um wandlungen in Frankreich. So sehr er nun auch selbstredend von den segensreichen Folgen der französischen Revolution überzeugt war, welche unausbleiblich schienen, jo wich er doch von den Ansichten seiner Berliner Freunde in einzelnen wichtigen Punkten ab, besonders in den Hoffnungen für den Bestand jener nach „reiner Vernunft" aufgebauten Con stitution. Einer der Briefe, in denen er sich darüber äußert, fand seinen Weg in die Oeffentlichkeit, indem ihn Humboldt's Freund Biester, einer der Hauptaufklärungsmänner jener Zeit, in seinen „Berliner Monatsheften" (Januar 1792) abdruckte unter dem Titel: „Ideen über Staats verfassung durch die neue französische Revolution veranlaßt." In der vorliegenden Sammlung steht dieser Aufsatz S. 14 ff. Humboldt macht, wie man leicht sehen kann, namentlich auf die abstrakte Art aufmerksam, mit welcher die Helden der französischen Revolution bei ihrer Constitution vorwärts gegangen seien. Nach apr.ioriftischen Begriffen und reiner Vernunft hätten sie ihrem Vaterland eine neue Verfassung gegeben, aber dies sei nicht der Weg, auf welchem das staatliche Leben der Völker seine Fortschritte mache. „Was im Menschen gedeihen soll, muß aus seinem Inneren entspringen, nicht ihm von Außen gegeben werden; und was ist ein Staat, als eine Summe menschlicher wirkender und leidender Kräfte? Die Vernunft hat wohl Fähigkeit, vorhan denen Stoff zu bilden, aber nicht Kraft, neuen zu erzeugen. Diese Kraft ruht allein im Wesen der Dinge: diese wirken; die wahrhaft weise Ver- uunft reizt sie nur zur Thätigkeit und sucht sie zu lenken. Hierbei bleibt sie bescheiden stehen. Staatsverfassungen lassen sich nicht auf Menschen, wie Schößlinge aus Bäume pfropfen. Wo Zeit und Natur nicht vorgearbeitet haben, da ist's, als bindet man Bliithen mit Fäden an. Die erste Mittagssonne versengt sie." — Negativ gefaßt ist also das Resultat der Untersuchungen Humboldt's das, daß die französische Staatsverfassung keinen Fortgang haben wird, da niemals eine Nation für eine nach bloßen Grundsätzen der Vernunft systematisch entworfene Staatsverfassung reif sein kann. Dennoch ist er weit davon entfernt, mit diesem Spruch schon das Urtheil über die Re- volution überhaupt gefällt zu haben; im Gegentheil den Segen, den sie bringen muß, stellt er in das hellste Licht. „Sie wird die Jdecu aufs Neue aufklärcn, aufs Neue jede thätige Tugend anfachen, und so ihren Segen weit über Frankreichs Grenzen verbreiten. Sie wird dadurch den Gang aller menschlichen Begebenheiten bewähren, in denen das Gute nie an der Stelle wirkt, wo es geschieht, sondern in weiten Entfernungen der Räume oder der Zeiten, und in denen jene Stelle ihre wohlthätige Wir kung wieder von einer anderen gleich fernen empfängt." Dieser Brief nun, der Ansichten aussprach, welche damals ziemlich neu waren und stellenweise paradox erschienen, erregte mannigfachen Wider- spruch und anderen auch den des Coadjutors, Humboldt's Freund, dessen Staatsidcal dem von Humboldt geäußerten Grundsätzen schnurstracks zu wider lief. Er forderte deshalb seinen jungen Freund auf, seine Ansichten über die Grenzen der Staatswirksamkeit niederzuschreiben und Humboldt, für den dieser Gegenstand von dem größten Interesse war, ging mit um so größerem Vergnügen darauf ein, weil er hoffen konnte, daß die Resul-