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XII vollständig. Wie Humboldt sich mit diesen traurigen Verhältnissen bekannt gemacht hat, ist uns nicht besonders überliefert; es scheint, daß er im Verkehr mit gleichgesinnten Freunden und vor Allem beschäftigt mit seiner Selbstbildung, an der er unausgesetzt arbeitete, und in Anspruch genommen von seinen philosophisch-politischen Ideen sich im Ganzen wenig um den ephemeren Stand der Dinge kümmerte. Lag es doch ganz im Charakter jener Zeit, Alle Ereignisse und Vorgänge des öffentlichen Lebens lediglich von philosophischem, idealen Standpunkt ans zu betrachten und von ihren etwaigen realen Folgen und Einflüssen ganz abzusehen. Um übrigens für sein äußeres und inneres Leben einen Anhaltspunkt zur Beurtheilung zu haben, mag es genügen, zu bemerken, daß er als Legationsrath in den preußischen Staatsdienst trat und den Umgang der Henriette Herz und Rahel Levin genoß, Frauen von so viel Geist, Originalität und Be geisterung, daß es ihnen gelang, die besten Köpfe Berlins an sich zu ziehen und auf das gesellige Leben dieser Stadt einen lange dauernden Einfluß anszuüben. Indessen, wie gleichgültig ihm auch die ihn direkt umgebende äußere Welt sein mochte, der preußische Staatsdienst jener Jahre konnte unmöglich im Stande sein, einen Mann von so viel Geist und Forschungstrieb auf die Dauer ku fesseln. Der Pegasus mochte fühlen, daß er an dem Karren eines Bauern zog; dies und der Wunsch, sich mit seiner Braut, zu der ihn Geist und Gemüth in gleicher Weise hinzog, dauernd zu vereinigen endlich sein Trieb nach energischer geistiger Weiterbildung bewogen ihn, schon im Juli 1791 die Ruhe und das eheliche Glück auf Burgörner, dem bei Eisleben gelegenen Schlosse seiner Gemahlin mit dem Geräusch der Hauptstadt zu vertauschen. Sein eheliches Glück war das reinste und ungetrübteste; Frau von Humboldt besaß so viel Geist und Grazie und wußte in so hohem Grade alle Menschen von Talent und Gesinnung an sich zu ziehen und in ihren Kreis zu bannen, daß sie in dieser Hinsicht der Rahel Levin (Frau von Varnhagen) an die Seite gestellt werden darf. Für uns speziell ist diese veränderte Lebensstellung W. v. H's. noch von größter Wichtigkeit, denn die Muße seines Landaufenthaltes führte ihn wieder völlig auf die inten sivsten philologischen und philosophischen Studien zurück, deuen er sich ans reiner Freude am Forschen und Erkennen, ohne jede Nebenabsicht, hingav. Dies ist schon äußerlich bezeichnet durch seine spezielle Freundschaft mit Fr. A. Wolf und Schiller, welche damals ihren Anfang nimmt. Auch mit Dalberg trat er wieder in nähere Berührung, der dann die äußere Veranlassung wurde, daß er eine seiner interessantesten historischen Schriften abfaßte, nämlich: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen." — Dieser längere Aufsatz entstand auf folgende Veranlassung. Die Vor gänge jenseits des Rheins, welche damals an Tragweite und Großartigkeit immermehr zugenommen hatten, erregten natürlich die Aufmerksamkeit aller gebildeten Europäer, besonders der Deutschen, in hohem Grade, wenn auch die Urtheile zunächst ziemlich weit auseinander gingen. Humboldt hatte über den Charakter und den Werth der französischen Revolution wiederholt sich brieflich seinen Berliner Freunden gegenüber ausgesprochen; ihn inter- essirte vor Allem der philosophische Charakter der Revolution; er mochte die Wahlverwandtschaft ahnen, welche bestand zwischen den radi-