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686 Die Einwohner von Brasilien. und eine Rücksichtslosigkeit, welche schwerlich ihres Gleichen findet. Da ein Jeder weiß, wie wenig er geneigt ist, die Rechte eines Andern zu achten, so ist Eifersucht — sonst nicht eine Untugend der Südländer, falls sie verheirathet sind, und nur bemerkbar im Brautstände — in einer höchst auffallenden Art bei ihnen zu Hause, und zwar so, daß, wenn zehn Gäste bei Tische sitzen, immer. Mann und Frau beisammen, aber die Gattin, von dem nächsten Mann durch die Frau dieses Mannes getrennt ist. Es sitzen also stets zwei Ehemänner und zwei Ehefrauen neben ein ander; die Mädchen sind an das eine Ende, die jungen Männer an das andere Ende der Tafel gewiesen. Sonderbar erscheint dagegen die un begrenzteste Aussichtslosigkeit beim Tanze und in der Kirche. Während der Messe werden alle Liebesintriguen eingeleitet und in der Regel auch schnell genug zum erwünschten Ziele geführt, denn die Frauen sind so ge nußsüchtig wie die Männer, und namentlich werden von ihnen die Fremden mit einer wahren Wuth verfolgt. Wer nur ein wenig der allgemeinen Sprache mächtig ist, kann jeden seiner Wünsche zur Geltung bringen. Das Leben in den Städten ist dem des südlichen Europa vollkommen nachgeahmt. Die alten Römer wußten wohl die Straßen zu pflastern; die neuen Römer, auf welcher der beiden Halbinseln es auch sei, halten es für überflüssig; sie lassen im Gegentheil das Pflaster versinken unter dem Auswurf ihrer eigenen Häuser, in Folge dessen ist bei Regcnwetter das Passiren der Straßen beinahe unmöglich. Abgesehen davon, daß der Regen selbst zu stark ist, um das Ausgehcn zu gestatten, stehen doch die Straßen auch stundenlang nach dem Regen noch unter Wasser, denn so wenig wie für Pflasterung ist für den Abzug des Wassers gesorgt. Um nun doch nicht zum Daheimbleiben verurtheit zu sein, läßt man sich in Portechaisen tragen, und die Neger, welche dies zu verrichten haben, hät scheln mit ihren nackten Beinen durch Dick und Dünn, und die nächste Pfütze giebt ihnen Gelegenheit zu einem Bade, welches sie in derselben Art wiederholen, wenn sie ihre Herrschaft wieder nach Hause getragen haben. Die Gesellschaften oder Tertulias sind gewöhnlich von einer lärmen den Fröhlichkeit belebt, und eine große Mäßigkeit hinsichtlich der Getränke zeichnet die Südländer aus; desto größere Neigung haben sie zu Fresco's, zu Erfrischungen so süß wie möglich und so kalt wie möglich, und deshalb machen die Nord-Amerikaner gute Geschäfte nach Rio. Die sonstigen Vergnügungen, wenn man den Kirchgang ausnimmt, welcher täglich einmal oder auch zweimal vorgenommen wird, sind unter aller Kritik. Spazieren gehen kennt der träge Brasilianer nicht, es kommt ihm äußerst komisch vor, etwas zum Vergnügen zu verrichten, was doch eine Arbeit ist; das Gehen nämlich. Concerte kennt man gar nicht, oder