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546 San Jago. Die Westseite des Gebirges. Pfade ganz verbirgt, aber so wie man die eigentliche Bergregion betritt, ändert sich wie mit einem Zauberschlage Alles. Hinter einaiider steigen immer mächtigere Bergreihcn empor, jede folgende überragt die vorher gehende und eine jede neue bietet beim Durchreiten einen neuen Anblick hinsichtlich der ganz veränderten Vegetation. In den Pampas sieht man nur niedere Kräuter, in den Flußthälern sieht man eine fast tropische Vege tation, Palmen, Pisangs und Alles, was damit zusaminenhängt, zeigt sich in außerordentlicher Schönheit. Nähert man sich dem Gebirge, so bedingt sofort die bestiegene Höhe einen auffallenden Unterschied und man durch schreitet in einem Zeiträume von einigen Tagen alle die Klimate und alle die Verschiedenheiten des Pflanzenwuchses, welche man von dem Aequator nach den Polargegenden reisend, im Zeiträume von einem halben Jahre wahrnehmen würde. So wie man höher steigt, wird der Pflanzenwuchs immer mehr demjenigen ähnlich, dessen man von Europa gewohnt ist und hat man endlich die Berggipfel vor sich, so hört sogar die Vegetation auf, gerade wie es eben so stattfindet, wenn man sich der Polarzone nähert. Der jenseitige Abhang der Cordilleras bietet die allerromantischstcn Gegenden dar. Es fehlen nur die Trümmer der alten Ritterburgen, um sich in die Schweiz oder nach Stehermark versetzt zu denken. Auf einem der schönsten Plateaux liegt die Stadt San Jago, regel mäßig und wohlgebaut, mit übermäßig breiten Straßen, zum Theil auch mit prächtigen Palästen, in den gewerbtreibenden Theilen dagegen eng, schmutzig, höchst unansehnlich. Wie begreiflich, gehört sie nicht der alten Zeit an, denn sie ist entstanden nicht mir, lange nachdem Amerika entdeckt worden war, sondern erst lange nachdem man die Wege über die Cordille- raö und über die weit ausgedehnte Wüste zu ihren Füßen gefunden hatte. Bewohnt ist der Ort beinahe nur von Spaniern; andere europäische Reisende haben denselben zwar besucht, aber wohl nur äußerst wenige Menschen haben sich dort niedergelassen, die nicht spanischer Abkunft wäre» und diese wenigen sind Deutsche. Die Küsten des südamerikanischen gemäßigten Erdstriches sind überaus düster, schwarze oder braune Felsmassen mit höchst dürftiger Vegetation steigen stufenweise hinter einander ans, erst wenn man die nächsten Rücken überstiegen hat, gelangt man in Gegenden, welche der Kultur fähig sind und wo sich denn auch eine spanische Bevölkerung niedergelassen hat; zwar nicht fleißig, wohl aber heiter, zu jedem Vergnügen aufgelegt, umgänglich und gegen Reisende äußerst zuvorkommend; sie sind sehr gastfrei, die Damen sind besonders geistreich, gesprächig, anmuthig, es gehört wenig dazu, mit ihnen bekannt zu werden und man ist als Fremder stets sehr gern ausgenom men. Die Leute führen ein sorgenfreies Dasein und würden die Gebirgsvölker