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28 Der Eisblink. Meilen von ihm entfernt war, also auf gewöhnliche Weise, oder, wie wir vielleicht sagen würden, auf natürliche Weise, gar nicht sichtbar war. Die unnatürliche Weise, durch welche es sichtbar wurde, war eben die starke Brechung der Lichtstrahlen durch die ungleich erwärmte Luft, welche brennglasartig, zugleich vergrößernd und über den Horizont erhe bend wirkt und solchergestalt das Schiff sowohl sichtbar macht, als dem Auge um ein Beträchtliches näher rückt. Diese Luftspiegelung, von dem Seefahrer Kimmung genannt, bringt so wunderbare als unterhaltende Täuschungen hervor. Oft sieht man das Schiff von blauen und schwärzlich gegliederten Basaltsäulen umgeben, ein andermal sehen die schwebenden Eisstücke wirklich dem mit Bergen besetzten Lande so täuschend ähnlich, daß die erfahrensten Offiziere irre geführt wer den. Ein andermal glaubt man wieder eine Stadt mit zahlreichen Thür men zu sehen, aber, was so wunderbar dem Seefahrer entgegenlacht, ist nichts Reelles, denn das Bild ändert sich fortwährend. Die breiten Thürme werden schlanker und höher, sie werden zu Obelisken und Mina- rets, die Häuser werden zu gigantischen Bauten, zu mächtigen Pyramiden oder sie schrumpfen zusammen zu ausgezackten Mauern oder sie gehen über in phantastische, architektonische Figuren, wie sie in den Mährchen von Tausend und Eine Nacht Vorkommen. Kaum ist ein Gegenstand ins Ange gefaßt worden, so verwandelt er schon seine Form, zwei Obelisken neigen sich zusammen und bilden eine riesige Bogenbrücke, ein Paar andere legen sich flach nieder und bilden die Straße zu dieser Brücke. Ein Palast, ein Tempel, vor welchem die verwandelten Obelisken gestanden, wird zum flimmernden Wasserfall, welcher unter dem Bogen der Brücke hcrvorschießt. Adalbert von Chamisso beschreibt die Luftspiegelung am Kotzebuesund, an der nördlichen Küste von Amerika. Er sah eine Wasserfläche, einen spiegelnden See vor sich, in welchem sich das verkehrte Bild eines Berges malte, der dicht hinter dieser Wasserfläche lag. Chamisso ging auf den Berg zu und erreichte ihn trockenen Fußes, aber Derjenige, welcher an der Stelle zurückgeblieben war, von welcher die Erscheinung betrachtet worden, sah Chamisso in diesem Wasser immer tiefer sinken, bis nur noch der Kopf zu sehen war, dann erhob sich dieser aus dem Wasser wieder und warf sein Spiegelbild zurück, so daß er — der wandelnde Chamisso — doppelt so lang erschien, als er wirklich war. Für den Nordpolfahrer könnte diese Kimmung einen großen Werth haben, denn sie zeigt ihm wie auf einer Karte ausgebreitet dasjenige, was weit außerhalb seines Gesichtskreises liegt, aber zugleich ist die Unsicher heit dieses Bildes so groß, daß niemals ein Verlaß darauf ist, denn eben so gut können die in der Luft abgespiegelten Eisflächen eine Täuschung