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404 Wanderungsweise der Nomaden. kein Dorf und kein Aul greift in seiner Wanderung nach den Ländereien des andern. Theils sind diese Landstrecken den Stämmen von der russischen Krone verliehen, theils gehören sie ihnen von Alters her oder durch das Recht des ersten Besitzes, aber Alles dieses wird geschont, geachtet, keiner ver- sucht es, dem andern sein Eigenthum streitig zu machen, und deshalb haben sie auch ganz geregelte Züge, und sie wandern regelmäßig nordwärts und südwärts. Sobald das Frühjahr kommt und der Schnee geschwunden ist, sobald das erste Grün dem Boden entsprießt, nehmen die Nomaden ihre Zelte aus einander, packen sie auf Kameele oder Ochsen oder auch auf Karren von Ochsen oder Pferden gezogen, und beginnen ihre Wanderung in der Richtung, welche sie seit Jahrhunderten in dieser Zeit einzuschlagen pflegen. Sind einige Werst, eine Viertel, eine halbe Meile, selten mehr als eine ganze Meile zurückgelegt, so macht der ganze Aul oder Choton (kal mückisch, bedeutet Dorf ungefähr in unserem Sinne, nur mit dem Unter schiede, daß die Dorfbewohner sämmtlich Verwandte sind, sämmtlich einer Familie angehören) Halt, die ältesten oder Führer untersuchen den Ort ans seinen Graswuchs, auf die Ergiebigkeit der Weiden, auf die Wasser vorräthe. Wird Alles nach Wunsch befunden, so bringen die Männer das Vieh sogleich auf die Weide, es geschieht ordnungsmäßig, jeder Viehgattung wird ein bestimmter Raum angewiesen, und die Jünglinge und Knaben halten das Vieh in der nöthigen Ordnung und Gesondertheit, die Weiber nun schlagen die Zelte ans, ordnen das Hausgeräth, bereiten das Esse», und wenn die Männer daran gehen, ihr Vieh zur Tränke zu bringe», se schicken sich die Frauen an, Kühe und Schafe zu melken. Wenn nach längerer oder kürzerer Zeit das Futter der nächsten Um gebung bis auf eine halbe Stunde im Umkreis abgeweidet ist, so bricht der ganze Aul wieder ans und zieht in dem gewohnten Strich weiter, etwa eine Stunde oder Stunde, eine Meile weit, bis zu einer frisch begrün ten und mit einem Brunnen versehenen oder neu zu versehenden Stelle. Dieser Wechsel geschieht zwar nicht regelmäßig alle acht Tage, aber doch ungefähr in solchen Zeiträumen von einer Woche, und so gehen sie vorwärts bis zum August oder zum Anfang des September. Während dieser Zeit sind die Frauen beschäftigt, höher aufgeschossenes Gras abzu schneiden, zu trocknen und zum Wintervorrath aufznhäufen. Aus der Wolle ihrer Schafe werden Filzdecken bereitet oder sie wird gesponnen, um zu Kleidungsstücken verwebt zu werden. Die wachsenden Vorräthe werden von Woche zu Woche mit fortgeschleppt und es vermehrt sich dadurch das Gepäck der Auls auf eine sehr bedeutende Weise, so daß zuletzt alle Last-