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den in Gold gefaßt, wie ein Talisman auf der Brust getragen und gelten für Kranke als sicher helfende Arzneien. Wir wollen übrigens diese letzten Worte nicht für vollkommen wahr ausgeben, es ist sehr möglich, daß sie eine Fabel enthalten, vielleicht erfun den von den Missionairen, welche, so weit sie Katholiken waren, an dem Lamaismus einen um so heftigeren Aerger nahmen, als sie sehen mußten, wie beinahe bis in's Kleinste seine äußeren Formen mit denen des Papst thums übereinstimmten. Der Dalai-Lama residirt nahe bei Lhassa oder Lassa, an einem der Zu flüsse des Bramputr, südlich von dem Zaanggebirge, beinahe unter demselben Längengrade, wie die Mündungen des Ganges. Hier ist eine Pagode und zwar die prächtigste von allen, welche die Mönchsstadt bilden, ihm zum allei nigen Gebrauch angewiesen. In derselben scheint er wie ein Gefangener Niemandem zugänglich zu sein, denn ihn zu sehen ist keinem Sterblichen vergönnt, außer etwa eigentlichen Fürsten und dem Kaiser von China, welcher sich zu ihm begiebt, um seinen Segen zu erhalten und dadurch frei von Sünden zu werden. Der Dalai-Lama erhält hierbei die tiefste Verehrung, der Kaiser kniet vor ihm nieder und neigt sein Haupt auf den Fußschemel desselben, der Lama sitzt auf einem Altar, der mit einem großen Purpur- und goldverbrämten Kissen bedeckt ist; hier mit untergeschlagenen Beinen nach orientalischer Weise ruhend, scheint er unbeweglich, grüßt Niemanden, neigt nicht sein Haupt, entblößt dasselbe nicht, wohl aber legt er nach dem vom Kaiser empfangenen Opfer die Hand auf dessen Haupt und dadurch ist derselbe von jeder Sünde, die er begangen haben mag, befreit. Der Kaiser also erkennt seine Ober hoheit in allen religiösen Dingen an, obschon er, seitdem Tübet unter chine sischer Hoheit steht, eine Besatzung von tausend Chinesen in Lassa liegen hat. Die Macht derselben reicht nicht weiter, als ihr Arm. Der Lama regiert noch immer selbstständig Tübet und sendet auch einen Nuntius, einen Unter-Lama nach Pecking, welchen der chinesische Kaiser mit ungeheuren Kosten erhält. Die beiden Klöster bei Lassa, welche sein gewöhnlicher Aufenthalt sind, liegen oberhalb und unterhalb der Stadt und werden jährlich zweimal von ihm besucht, beide bestehen aus einer Unzahl von Tempeln und Priesterwoh nungen und einer großen Pagode als dem Sitz des Lama selbst. Wenn diese Umzüge unternommen werden, ist er ganz von Priestern umgeben, welche seinen Anblick einem Jeden verbergen. Personen weiblichen Geschlechts dürfen aber gar nicht um den Weg sein, einen Tag vor dem Umzuge wird daher die ganze Umgegend durch eine Razzia, bei der es bunt genug hergehen soll, vollständig gereinigt.