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Kaschmir. 291 zogen, wird sich um so mehr getäuscht finden, je mehr er davon erwartete; derjenige dagegen, der von Rußland her über die große Tartarei oder durch das kahle, sonnenverbrannte Afghanistan nach Kaschmir gereist ist, wird sich in eine reizende Oase, wird sich auf die Insel der Glückseligen versetzt glauben. Dies mag vorläufig zur Erklärung der verschiedenen Ansichten darüber genügend sein. Geographisch steht fest, daß das herrliche Thal, an der nördlichen Grenze der subtropischen Zone zwischen dem 33. und 35. Grade gelegen, nördlich und östlich von einem majestätischen, weit ge schweiften Bogen des Himalayagebirgcs in 60 Meilen Länge, südlich aber von einer niedrigen Bergkette des Hindnkuh eingeschlosscn ist, eine Höhe von 5000 Fuß über dem Meere hat, also sich eines sehr milden Klimas erfreut, dazu reich gesegnet ist von einer unzähligen Menge von Bächen und Flüssen, welche von dem Gebirge hcrabströmcn, schöne Seen bilden und die Vegetation zu einer ungewöhnlichen Ucppigkeit erheben. Hier hin durch strömt auch der Indus bei seinem Durchbruch des Himalayagebirgcs zwischen Kleinthybet und Kaschmir und so prangt denn die Ebene dieses höchst fruchtbaren Thales mit allen Blumen und Früchten der gesegnetsten Gegenden des Erdballs. Was Kleinasien, Sicilien, die Nordküste von Afrika, was Persien und Arabien an Pflanzen aufzuweisen hat, wächst hier in besonderer Vollkommenheit, also natürlich auch Palmen, Ficus und Pi- sang, unr allerdings die eigentlich tropischen Früchte, wie die Cocospalme, die Mangustine, der Brodfruchtbanm rc. nicht, denn diese fordern die Gluth des Aequatorial-Climas und die Feuchtigkeit des Meeresufers. Die Einwohner sind indischen Stammes, allerdings kaukasischer Race, wie eben die Indier selbst, doch so hell an Farbe, daß Spanier, Griechen, Italiener braun genannt werden müssen im Vergleich mit ihnen, sie sind schön geformt, stark und gewandt, sic sind fleißig, daher auch das Land trefflich gebaut, ein wahrer Garten ist; in den Bergländern wird Vieh zucht in großem Maßstabe getrieben und diese Hirten gelten für die besten Improvisatoren in einem andern Sinne, als man dieses Wort in Italien braucht, sie sagen nicht die auswendig gelernten Verse anderer Dichter her, sondern sie singen nach einer selbst erfundenen Melodie die selbstgeschaffe nen Gedichte und zwar, obwohl die indische Sprache ihre Muttersprache ist, doch in der persischen, welche dort für die feinere, für die Sprache des Hofes und der Dichtkunst gilt. Diese freundlichen und bescheidenen Menschen sind nicht kriegerisch, nicht einmal Jäger und deshalb sind sie fortwährend unter fremder Herr schaft gewesen. Nur wenige, höchst beschwerliche Bcrgpässe führen ans die sem Lande nach Süden oder nach Norden und dennoch haben sie auch diese