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290 Kaschmir. stehen; vielleicht wird der mit China geführte Krieg den Europäern dieses Land öffnen, ob es aber in Jahrhunderten gelingen wird, so weit die Kultur in jene Gegenden zu tragen, daß es den Reisenden nicht mehr ergeht wie dem unglücklichen Schlagintweit und unzähligen seiner Vorgänger, muß frei lich dahingestellt bleiben. Etwas besser bekannt sind uns die westlichen Theile dieses Gebirges, welche an das von den Engländern besetzte Indien stoßen, so z. B. das Thal von Kaschmir, welches früher den Afghanen gehörte, im Jahre 1819 aber dnrch Rundschit Singh, dem Beherrscher der Sikhs, erobert wurde. Dieses Wunderland ist der Sitz aller Fabeln, aller Mährchen, ist der Göttersitz der mehrsten indischen und persischen Religionsbekenner, welcher Sekte oder welchem Kultus sie auch angehörcn mögen; die eigentlichen In dier, welche sich der Bramareligion zuneigen, suchen hier die Heimath ihres obersten Gottes Brama und seiner unmittelbarsten Kinder, der aus seinem Haupte entsprossenen Brammen. Die Chinesen suchen dort das Vaterland des Fohi, die Perser glauben, es sei der Ursitz des Ormudz und seines Ver kündigers, des Zerdnst. Die ältesten orientalischen Schriftsteller erklären Kaschmir allen Ernstes für das Paradies, für den Garten Eden, für die Wiege des Menschengeschlechts, und auch die Weisen dieses Volkes, vielleicht sogar die Sprachforscher im Ccntrum von Europa, halten Kaschmir wenig stens für den ältesten Sitz der Kultur, also, wenn nicht für die Wiege des Menschengeschlechts, so wenigstens für die Wiege seiner Geschichte. Die verschiedensten Gerüchte über dieses Wunderland haben sich geltend gemacht und die Schilderungen davon sind mit um so lebhafteren transpa renten Farben gemalt, je weiter der Maler von dem Lande entfernt war. Am kühnsten und weitesten sind hierin jedenfalls die Europäer gegangen und unter diesen gewiß die Deutschen, es sei denn, daß Thomas Moore in seinem Gedichte „Lala Rukh" sie in etwas überboten habe. Reisende, welche dorthin gekommen sind, namentlich im Laufe dieses Jahrhunderts, haben anders davon gesprochen, am nüchterstcn ist die Be schreibung durch den überhaupt sehr nüchternen Herrn von Hügel aus gefallen. , Gewiß ist, daß der Reisende selbst hineinträgt, was in ihm ist, und daß Heinse voll Gluth und Poesie Italien anders betrachtet, als der preußische Referendarius Nicolai. Aber auch, wenn eine solche Gemüths- stimmung nicht das Wesentlichste ist, so wird doch die Beschreibung eines solchen fremden Landes nach eigener Anschauung sehr verschieden ansfallen, je nach den Ländern, durch welche man dahin gelangt. Wer das berühmte Thal von Kaschmir betritt, nachdem er das Wunderland Indien durch-