Volltext Seite (XML)
44 zuwischen, wenn ich mit meinem Taschentuche in der Hand schwei gend die ganze Nacht neben ihr sitze!" Es lag gewiß nichts Unrechtes in dieser Vorstellung, dennoch machte ich augenblicklich meinem Herzen in den bittersten Ausdrük- ken Vorwürfe darüber. Ich habe immer, wie ich dem Leser bereits erzählte, das selt same Glück im Leben gehabt, fast jede Stunde in irgend eine Dame verliebt zu seyn und als meine letzte Flamme zufällig durch einen Hauch der Eifersucht bei einer plötzlichen Biegung um eine Ecke ausgelöscht worden war, so hatte ich sie vor etwa drei Monaten an der keuschen Fackel Elisens wieder angezündet und dabei geschworen, sie solle während meiner ganzen Reise brennen. Warum sollte ich es verschweigen? Ich hatte ihr ewige Treue geschworen; sie hatte ein Recht aus mein ganzes Herz; theilte ich meine Liebe, so verrin gerte ich sie; stellte ich sie blvs, so brachte ich sie in Gefahr; wo Gefahr ist, kann Verlust eintreten, und was wirst du, Norick! ei nem so treuen und vertrauenden Herzen antworten können, das so gut, so sanft und nachsichtig ist? „Ich werde doch nicht nach Brüssel gehen," antwortete ich, indem ich mich selbst unterbrach, aber meine Phantasie ging noch weiter; sie erinnerte mich an ihr Aussehen bei unseren Scheiden, als wir beide kein Wort des Lebewohls zu sprechen vermochten; ich blickte das Bild an, das sie mir an einein schwarzen Bande um den Hals gehangen hatte, und ich erröthete dabei; ich hätte die ganze Welt darum gegeben, wenn ich es ein einziges Mal hätte küssen können, aber ich schämte mich. „Uuv soll diese liebliche zarte Blume," sagte ich, während ich das Bild zwischen meinen Händen drückte, „bis zur Wurzel geknickt werden, Uorick! durch dich ge knickt werden, der du versprachst, sie an deinem Busen zu schirmen?" „Ewige Quelle des Glückes!" ries ich aus und ich kniete nie der, „du bist mein Zeuge, und jeder reine Geist, der daraus ge trunken hat, bezeuge es mir ebenfalls, daß ich nicht nach Brüssel reisen möchte, Elise müßte mich denn begleiten, wenn mich auch der Weg nach dem Himmel führte!" Bei Entzückungen dieser Art sagt das Herz, trotz dem Ver stände, immer zu viel.