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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.02.1877
- Erscheinungsdatum
- 1877-02-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187702169
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18770216
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18770216
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1877
-
Monat
1877-02
- Tag 1877-02-16
-
Monat
1877-02
-
Jahr
1877
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.02.1877
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-3- flätiasten Rede» iu den Mund gelegt. Das einzig wirklich Interrssanlr an diesem Machwerk ist, daß der Verfasser desselben der königliche Land« rath de< Kreises Marburg, Hr. Mayer, ist, der auch seinen Kreis im Abgeordnetenhausc schon längere Zeit vertritt und nach und nach verschiedenen Fraktionen der Rechten de- Hause« «»gehört hat. Derselbe soll sich vesonderer Gunst in Berlin erfrene». Die Ministerkrisi- in Ungarn ist noch immer in der Schwede und bi- sie entschieden ist, wird sich weder Uber Oesterreich- Stellung zum Handelsverträge mit Deutschland noch über seine Stellung zur orientalischen Frage etwas sagen lassen. In Ungar», namentlich in Pest, ist die Stimmung überreizt. Die aus Konstantin opel zurückgekehrte Studenten-Deputatioa ist mit über» triebenen Kundgebungen gefeiert worden. Beim Festessen brachte man ein Hoch aus Kossuth und auf ei» brüderliche- Einvernehmen mit der Türkei au-. Man ging so weit, zu sagen, die Magyaren seien den Türken Dank schuldig, weil sie zur Zeit ihrer Herrschaft über Ungarn die Sprache und die Einrichtungen de- Lande- unangetastet ließen, während diese unter deutscher Herrschaft der dräuat wurden. — Wa- die Beschickung der pariser Welt-Au-stelluug betrifft, so hat Nch im österreichischen Abgeordnetenhaus« zwar die Mehrheit de- Au-schusse- dagegen ausgesprochen, indessen wird wohl die Mehrheit des Hause- sich dafür erklären, und es fragt sich nur noch, ob für die Kosten eine au-giebrge Summe bewilligt werden, oder ob man angesichts der schlechten Zeiten die Ziffer erniedrigen wird. — E- wird mr sicher angesehen, daß, wenn da- Ministerium Ti-za zurücktritt, auch Andrassy gehen wird, uud wahrscheinlich auch da- Ministerium Auers perg. ES ist ausgefallen, daß der Kaiser beim letzten Hofballe den Grafen Hohenwart au-ge ,«ch»et hat, dessen Ernennung gleichbedeutend sei» würde mit dem Obenauskommen der Slawen. Der „Moniteur" bringt folgende Mittheilnng „Mehrere Blätter melden alS zuverlässig den Au-tritt dreier Minister au- dem Eabinet und di« Erneunuug eine- Unter-Staat-secrotair- sür da- Innere. Unsere Nachrichten bestätigen diese Angabe nicht." Die drei genannten Minister find: Decaze-, Fourichon und Märtel. Der Pariser Earneval zeigte die-mal wenig Humor. In den Straßen bewegte sich trotz de- schlechten Wetter- viel Volk, aber MaSken kamen fast gar nicht zum Vorschein. Nachrichten au- Jassy melden, daß bereit- mehrere Tausend Russen über den Pruth ge gangen sein sollen und die russischen Truppen fast alle ihre Leben-mittel au- der Moldau beziehen. Die au- Serbien heimkehrendeu russischen Frei willigen, wird ferner behauptet, werden der Mehr zahl nach in Unaheni angehalten und in die Festung Bender avgesührt, da man fürchte, sie könnten Nachrichten verbreiten, die auf den Geist der russischen Armee nachtheilig wirkten. Midhat Pascha ist feit seiner Ankunst m Brindisi noch nicht an- Land gegangen uud wird auch noch zwei Tage an Bord verwelken, trotzdem die beste» Zimmer im großen Ostindischen Hotel für ihn belegt worden sind. Wie aus Wien be rechtet wird, hätte Midhat von Syra au- tele graphisch bei dem Grafen Andrassy angesragt, ob «an e- nicht ungern sehen würde, wenn er seinen Aufenthalt in Wien nehme. Bei seiner Ankunft „r Brindisi soll Midhat darauf ein Telegramm vorgefunden haben, daß Nicht- seinem Besuch in Wien im Wege stehe. Au-Belgrad, 14 Februar, wird gemeldet: Die Bevollmächtigten zu den Frieden-Verhand lungen. EhristitS und MatitS, sind mit dem Dolmetscher BacsitS nach Konstantinopel ab gereist. — Ein Dekret de- Fürsten beruft die große Skupschtina zum 26. d. ein und ordnet die Wahlen auf den 20. d. an. Der von einigen Blättern gemeldete angebliche Ausstand in Dukadjin beschränkte sich neueren Nachrichten zufolge auf die Ansammlung der Be wohner de- von Miriditen bewohnten DistricteS Dibri, um da- Dorf Kcira (?) gegen einen von türkischer Seite her befürchteten Angriff zu ver- theidiaen. Die Miriditen besetzten die Straße von Scutari nach Pri-ren und nahmen den zur Herstellung der Ordnung entsendeten türkischen Beamten Zeinil vey gefangen. Sie erklärten, daß sie denselben nicht früher freilaffen würden, bi- der Miriditeuchef Marko Notza wieder in F.eiheit gesetzt sei. In Athen ist abermals eine Ministerkrisi- ,m Anzuge. ZaimiS hat sich mit DeligeorgiS coalirt, um die Regierung zu stürzen Diese kann bereit- über keine Majorität in der Kammer ver- fügen. Bei der ersten Veranlassung wird der Sturz de- Eabinet- KomundnroS erfolgen. Auf der Insel Candia wächst die Erregung. In Gphakra sollen sich bereit- drei Insurgentenbanden gebildet haben Griechische Schiffe schmuggeln fortwährend Waffen ein. Die griechische Regierung verhält sich der Bewegung gegenüber völlig passiv. "Leipzig, 15. Februar. Der IustizauSschuß de- Buudesrathe- hat sich bereits, wie wir schon gestern kurz meldeten, mit dem Gesetzentwürfe oeschästigt, welcher bestimmt, daß der Sitz de- Reich-geriLt- in Berlin sein solle Die Mehrheit de- Au-schuffe- hat sich mit der Vorlage einverstanden erklärt und beantragt die Zustimmung de« Vunde-rathe- zu derselben. Der sächsische Bevollmächtigte hat warm für Leipzig plaidirt; sein Gegenantrag blieb aber in der Minderheit. Die Stellung der bayerischen Regierung, die sich ihre Abstimmung vorbehielt, wird sich erst bei der Beschlußfassung de- Plenum- de- vunde-rathe-, welch« für heute oder morgen in Au-ficht ge nommen ist, erkennen lasten. Nach Dem, wa- »an über die dortige Stimmung weiß, ist anzu- »ehmen, daß die bayerischen uud vielleicht auch die württembergifchen Stimmen Leipzig den Vorzug geben werden Der Gesetzentwurf wird eiuer der ersten sei», welche dem Reichstage zugeheu werden. * Leizytg, 15. Februar. E- gcht doch Nicht- über ein gute- Deutsch. Die„Dre-dner Nach richten" leisten in diesem Punkte Muflergültige- Go schreibt da- verbreitetste Blatt Sachsen- heute: „Der Justiz-Au-schuß stimmte iu seiner Mehrheit für Berlin (al- Sitz de- Reich-gertcht-) Da- Pleuum de- Bunde-rathe- wird die- zwar auch thun, möglich bleibt e- aber immer noch, ob auch der Reich-tag dieser Meinung ist." O du heiliger Adelung! Da- .gelesenste Blatt" nimmt bekanntlich den Mund immer sehr voll, wenn e- gilt, die sächsischen Bolk-schuleu zu rühmen und Sachsen al- den Mittelpunkt aller Bildung, Dre-den aber al- den Mittelpunkt Sachsen- zu Preisen s Dresden, 14. Februar. E« hat sich hier ein Reich-verein-club gebildet. Derselbe be zweckt, ein geeignete- Local zu beschaffen und zu unterhalten, in welchem die Sitzungen und Ver sammlungen de- Deutschen Reich-Verein- zu DreSden stattfinden und die Mitglieder de- ReichS- vereiu- alltäglich mit einander verkehre» können. Für die Beschaffung vou Zeitungen und sonstigen Hüls-mitteln zur politischen Belehrung soll in auSgiebigster Weise Sorge getragen werden. Man verspricht sich von dem neuen Unternehmen viel für die Pflege de- nationalen Sinne-. X Döbeln, 14 Februar. „Stolz lieb ich den Spanier" sagt Schiller, und diesen Wahlspruch scheint auch unser neuer Reich-tag-abgeordneter, Herr August Walter in Dre-den, zu b« folgen, welcher im Gefühl seiner neuen Würde sein Licht durch«»- nicht unter den Scheffel stellt. Laut der „Sächs. Gewerbezrilung" vom 1. Febr. theilte Herr Walter in einer Versammlung de- DreSdner Gewerbeverein- mit, daß er nach soeben erhaltener Nachricht zum ReichStagSabqeordneten für den 10. Wahlkreis gewählt sei. Er sagte dann weiter, daß er in nächster Zeit nach Berlin gehen müsse, um sich den (! ?) hochwichtigen und ehrenden Aufgaben, die dem nächsten Reichstage vorliegen, zu unterziehen. Seine Stellung dort werde eine sehr schwierige sein, da er fast der einzige (!) Vertreter de- Gewerbestande- und de- sogenannten Mittelstände- fei, während alle übrigen Beruf-- klaffen durch mehrere Persönlichkeiten vertreten würden. ES dürste ihm de-halb wohl kaum möglich sein, auf diesen! Reich-tage so zu wirken, wie er wohl möchte Jetzt müsse er sehr vor sichtig sein, um sich nicht den Boden unter den Küßen weggleiten zu lassen, er müsse erst lernen und horchen (!), wie der Gang der Geschäfte sei, dann werde er aber Alle- ausbieten, um seiner Pflicht nachzukommen. Dann theilte Herr Walter noch mit, daß ihm von mehreren Seiten der Vorwurf gemacht worden sei, er habe einen Theil der Schuld an dem Au-gang der Stichwahl in Dre- den; wenn «p sich hätte al- Candidat aufstellen lassen, so würde da- Resultat ein anderes ge worden sein. Er könne hier nur sagen, daß er eine Candidatur in Dre-den gern angenommen hätte, wenn sie ihm angetragen worden wäre, er hätte sich aber unmöglich anbieten können. — So weit Herr Walter. Man sieht, daß über triebene Bescheidenheit der letzte Fehler ist, an welchem derselbe leidet. Er der einzige Vertreter de-Mittelstände-! des Gewerbestande-^ trotz Herrn Drechslermeister Bebel, welchem so viele von den particularistischen Gesinnungsgenossen de- Herrn Walter in Dresden ihre Stimme gegeben haben! Und wie schade, daß sich Herr Walter nicht in Dre-den hat aufstellen lassen, obgleich er DieS schon bei einer früheren ReichStagSwahl versucht und cS trotz de- nach Tausenden zählenden dortigen Gewerbeverein- auf kaum ein paar Hundert Stimmen gebracht hat! Sehr richtig bemerkte in dieser Beziehung kürzlich der Lei-niger Anzeiger: „Dieser Verein bietet seinen Vorsteher in 2 Wahlkreisen — in dem einen als Mann de- FortschrittS, in dem andern alS Mann de- Rück schritt- — angelegentlichst au-, ohne zu bedenken, daß er damit den Angerufenen die ganz natü.liche Frage nahelegt: „Wenn Ihr Euer» Vorsteher für so au-gezeichnet befähigt zum ReichStagsabgeordneten haltet, warum wählt Ihr ihn dann nicht selbst ?" Aber es hat sich nun der Grund dieser Enthaltsamkeit ge zeigt. Die Dre-dner wollten keinen Mann deS Fort schritt-, sie wollten auch keinen Mann deS Rück schritt«, sie wollten und wählten einen Mann des Umsturzes!" — Auch in anderen Wahlbezirken ist kin Rückblick auf die Wahlvirgänge lehrreich und zugleich erheiternd genug; man vergegenwärtige sich nur die Phantasiebilder, welche einige solcher Partei- und Meinungsäußerungen zu Tage för derten und nach deren Lesung man sich fast ver sucht fühlte, den Candidaten der schlimmen Nationalliberalen für eine Art NordlandS- recken zu halten, der mit einer riesigen Rade, backe bewaffnet de- NachtS auSgeht, um die sächsischen Forsten und Eisenbahnen mit Stumpf und Stiel auszuroden uud hinter Dahlen und Strehla über dte Grenze zu schleudern! Daß es — nicht unter und auch nicht neben — son dern über Preußen etwas giebt, da- Deutsch, land heißt, ein große-, gemeinsame- deutsches Vaterland, dem anzugehören Millionen wackerer Männer sich zur höchsten Ehre rechnen und dessen Vorhandensein un« vor wenigen Jahren vor Schande und Ruin rettete — DaS scheint so manchem sog. „guten" Sachsen ebensowenig bekannt zu sein, wie der berüchtigten „schwarzen Rotte" des baye rischen Landtag-, welche die „Verpreußung" auch fortwährend zu ihrem Stichblatte macht und da bei sich auch „patriotisch" nennt. sh Meerane, 14. Februar. E- war zu er warten, daß die socialdemokratische Partei gegen den Eandidaten der reich-treuen Parteien in unserem 17. Wahlkreise, Professor Birn baum. eine Flut» von Verdächtigungen und Schmähungen lo-laffen würde. Diese Erwartung ist (wie schon der dem „Chemn Tageblatt" ent nommene Bericht in der letzten Nummer gezeigte in Erfüllung gegangen. Glücklicher Weise ist Professor Birnbaum der Mann, den eine derartige Kampfweise nicht au- seiner Ruhe bringt und der seine Gegner gründlich abzuweisen versteht. In der vom hiesigen Städtischen Verein am Montag einberufenen Wählerversammlung war von socia- listischer Seite zwar nicht Herr Bracke, wohl aber Herr Bebel erschienen, welcher erklärte, er sei von Ersterem mit dessen Stellvertretung betraut und bat. man möge ihm die für die beiden Candidaten gewährte Sprechzeit von 1 Stunde be willigen Nach einigem Hin- und Herreden ging die Versammlung aus diesen Wunsch ein. In welcher Weise gab nun Herr Bebel für diese- Entgegen kommen seinen Dank zu erkennen? In eifrigen, hastig hervoraesprudelten. von übermäßigen Gesten begleiteten Ausführungen brachte er gegen Prof Birnbaum eine Reihe persönlicher Verdächtigungen vor, bemängelte dessen geistige uud moralische Fähigkeiten zu einem Reich-tog-mandat und gab sich alle erdenkliche Mühe, seinen Gegner al- einen unehrenhaften Menschen hinzustellen. Da da- Schimpfen denn doch zu arg wurde, so schritt d«r Vorsitzende der Versammlung, Hofrath Frey, mit einem Ordnung-rufe gegen Bebel ei». In der Rede Bebel'S befand sich auch wieder einmal die Drohung, daß keine Gewalt sich unterstehen möge, dem Streben nach Herbeiführung de- socraliftischen Zukunft-ftaate- entgegen zu treten, da e- sonst lercht geschehen könne, daß da- be- drückte Volk sich durch Revolution einen Weg zur Freiheit bahne, gleichwie die Dämpfe eineS Kessel- sich nur bi- zu einem gewissen Grade zusammen drücken ließen, dann aber explodirten. Die Rede de- Professor- Birnbaum stach in jeder Weise vortheilhaft gegen die Deklamationen Bebel'S ab. Derselbe gedachte zuerst der unwürdigen Art und Weife, wie ihn die socialistische Partei in Meerane zu ihrer am Sonnabend stattgehabtcn Versamm lung eingeladen. Man habe ihm einfach einen Zeitungsausschnitt zugeschickt, auf welchem die erwähnte Volksversammlung angezeigt war und auf welchem die Worte „Herr Professor Birn baum ist hierzu eingeladen" blau unterstrichen waren. Redner erklärte, daß er einer in so wenig anständiger Form erfolgten Einladung keine Folge gegeben, selbst wenn er für diesen Abend nicht schon in Glauchau seine Anwesenheit zugesagt hätte. Prof. Birnbaum ging bann auf die Verleumdungen und Beleidigungen gegen seine Person Uber, widerlegte in ruhiger angemessener Weise diese Angaben und bezeichnte sie theil- al- gänzlich unwahr, theil alS vollständig entstellend. Beleuchtung erfuhren hierbei namentlich auch die bei der ReichStagSwahl im Jahre 1874 in, Leipziger Landkreise zwilchen ihm, Professor Birnbaum und Bracke vorgaommene Differenz und die Bifch- weiler Gründung-sache, au- welcher gegen Birn baum so viel Capital ru schlagen versucht worden ist. Nach diesen persönlichen Auseinander setzungen kam Redner zu dem eigentlichen Zweck seine- Dortrage-, auf die Entwickelung seine- ProgrammS. Er that da- iu ruhiger, klarer und überzeugender Weife. Seine oft lakonischen Sätze waren mit attischem Salze gewürzt, seine Behandlung entsprach der Wichtigkeit der Sache und blieb frei von jener theatralischen Effekt hascherei, mit welcher besonders die socialistische» Candidaten ihre Wähler zu bestechen suchen. Zum Schluffe kennzeichnte Prof. Birnbaum in scharfen Zügen da- Verwerfliche und Gefährliche der Lehren der Socialdemokratie. Der größte Theil der Versammlung zollte Prof. Birnbaum stürmischen Beifall. Herr Bracke war der Ver sammlung fern geblieben, angeblich deshalb, weil er wegen Beginne« der Braunschweiger Messe habe abreisen müssen. Man vermuthet jedocki, daß er einer Disputation mit Prof Birnbaum klüglich auSgewichen st. Altona. Am Donnerstag findet in unserm Wahlkreise der zweite Reichstag-wahlkamps statt. Der Umstand, daß an Stelle Hasenclever'S tn im Holsteinischen vollständig unbekannter Hamburger Schuster (Hartmann) als fatalistischer Candidat ausgestellt worden ist, wird namentlich auf den ländlichen Troß der Socialdemokratie seine niederschlaoende Wirkung nicht verfehlen. E- steht ferner fest, daß die socialistische Oppo sitionspartei. welche es am 10. Januar allerdings nur auf ca. 140 Stimmen brachte, am 15. Februar nicht für Hartmann stimmen wird. Noch mehr aber wird die Hoffnung auf ein günstige- Resultat der liberalen Candidatur durch die überaus leb- hafte Agitation der verschiedenen Wahlcomitss belebt. Stt Wochen werden Agitationsreisen von Seiten der Führer der liberalen Parteien nach allen Winkeln de-Wahlkreise-unternommen. Die liberale Partei darf boffen, am Wahltage zu siegen, und hat eS nicht an Anstrengungen fehlen lassen, um diese Hoffnung zu verwirklichen. Der Proceß Lismarck gegen vr. Üud. Meyer. Da- Berliner KreiSgericht nahm am 14. Fe bruar die im Januar vertagten Verhandlungen in dem Processe gegen den vr. püil. Rudolf Meyer wegen verleumderischer Beleidigung de- Reichs kanzler- Fürsten BiSmarck wieder auf. Der Vertheidiger de- Angeklagten. Recht-anwalt vr. Quenstedt, wiederholte seinen im vorigen Termine eingebrachten Antrag auf Vernehmung de- Herrn v. Diest-Daber. Wie ihm Herr v. Diest mittheile, habe v. Wedemeyer in seiner Broschüre niemals von einer Gründung-betheili- gung de- Fürsten BiSmarck gesprochen, sondern nur gesagt, er hätte von zwei ihm bekannten lebenden Personen gehört, daß bei der Gründung der Bodenkreditbank auch der Name de- Fürsten BiSmarck genannt worden fei. Er wolle dahin gestellt sein lassen, ob und in wie weit der Name de« Fürsten dabei gemißbraucht worben; That- fache aber sei, daß der Reichskanzler nach der Au-sage »on Zeugen eiue große Anzahl von Aclieu der Bodenkreditbank zu einem Course erhalten habe, welcher dem übrigen Publicum nicht zugänglich war. Die Aktien seien dem Fürsten zwar nicht au-gehändigt, wohl aber die ganz bedeutende Eonr-differenz Durch diese Sache sei Herr v Diest in einen Ehrenhandel mit Herrn v. Blanckenburg gerathen und habe denselben „stellen lassen". Darauf Hab« Herr d. Blancken burg einen Brief geschrieben, in welchem «S u. A. heißt: „Ich nehme keinen Anstand, zu wieder holen, waS ich weiß. Die Actis» wurden zum Course von 106 au der Börse gehandelt uud von BiSmarck'- Bankier zu 108 bedeutend gekauft". Dem direct»» Anträge de- vertheidiger- aus Vernehmung de- Herrn v. Diest wurde vom Staat-amvalt widersprochen, und der Gericht-Hof lehnte die Vernehmung ab, weil Herr ». Diest möglicherweise sich durch sein Zeugniß selber be zichtigen könne. ES begann demnächst da- Zeugenderhbr. zu welchem geladen waren die Herren Geh. Com» merzienrath v. Bleichröder, v. Blanckenburg, v. Bethmann-Hollweg und v. Aardorff. Herr v. Bleichröder sagt au-: Obgleich die Frage seines Verhältnisse- zu dem Fürsten Reichskanzler außerhalb de- Rahmen- de- iucriminirten Ärnkels Uege, so sei er doch dankbar, endlich einmal diese- VerhLltniß klarzulegrn, welches zn den unerhör testen Beschimpfungen uud Beleidigungen Veranlassung gegeben. Grit zwei Decennien erfreue er sich der Freundschaft de- Fürsten BiSmarck, der ihm auch vor 15 Jahren dir Leitung und Ordnung seiner Privar- Lugelegenheiter» übertrug, so daß er die Ausgaben de» Reichskanzler» durch seiu« itasse zu leiste«, d,e Anlage de» Privatcapital» de» Fürsten, d«S durch verkauf von Bittern ic. flüssig wurde, zu besorgen, uud die Aus nahme von Geldern, sofern BiSmarck drreu zur «rron- dirung seiner Güter rc. bedurfte, zu leiten habe. Dte einzige Bedingung, welch« chm der Fürst bet diesen Geschäften stellte, war nicht die Rückficht ans hohe Zinsen, sondern auf fundamentale Sicherheit der auzu- kaufenden Effecten. Der Fürst kümmere sich überhaupt sehr wenig um seine Privatgeschäfte, so daß, als er (Zeuge) einmal russisch« Boden credit - Pfandbriefe und preußische Bodencredit-Pfaudbriefe für den Fürst« an- kaufte, der Reichskanzler glaubt«, er Hab« Tentral- Bodencreditactien im Besitz Er erkläre also angesichts seiner Bücher und angesichts seine» adzuleistrnden Eides, daß der Fürst BiSmarck weder durch ihn selbst, noch durch Vermittelung seiue- HauseS z» den preußischen Leutral-Boden- creditactien in Beziehung gestanden habe, weder bei der Gründung, noch bei der Loa- sortialbetheilignng, noch bet Differrnz- geschäften, wie er überhaupt nicht et» eimige- Geschäft in Central-Bodencreditaclien für den Fürsten gemacht habe. Der Angeklagte: Er habe nicht von U^ieo- ankauf, sondern von Differenzgeschäftcn gesprochen, und er könne in Bezug daraus noch zwei Namen nennen: den leider schon verstorbenen Herr« v. Abeken und den UnterstaatSsecretair v. Thiele. Zeuge v. Bleichröder: Ich wiederhole noch mal-, daß weder durch mein Hau-, n»H durch sonst Jemanden, der mit meinem Lause in Ver bindung steht, jemal- solche Geschäfte für den Fürsten Reichskanzler gemacht worden sind Der Zeuge v. Blanckenburg: Bor mehr als zwei Jahren macht« iu eurer Gesell schast Herr v. Diest dunfte Andeutungen von derartigen Sachen, wa-Zeuge st» verbat, indem er zugleich nähere Aufklärung verlangte, v. Diest erzählte u. daß b^ der Gründung der Central-Bodenkreditbank ein« halbe Million Aktien an den Fürsten gegeben worden sei. tzr (Zeuge) habe dies für ganz unmöglich erklärt, aber doch, um dem Gerede wo möglich di« Spitze abmbrecheu» bei» Reichskanzler persönlich Informationen emgezogeo, uud dieser habe ihm unterm 18. Januar zurückgetchriebeu: Me diese Redensarten seien einfache Ohrenbläser«; er bade niemals das an und für sich gesunde Institut der Central-Bodenkreditbank unterstützt au« seinen Privat- mittrln, und so viel er wisse, habe er auch noch niemals Aktien der Bank besessen. Später habe ihm der Reichs kanzler persönlich gesagt, daß vielleicht sein Bankier ohne seinen Auftrag derartig« Aktien, nachdem dieselben an der Böise begeben waren, gekauft uud »er kauft habe. Das habe er (Zeuge) denn auch au v. Diest mitgetheilt; dieser war irdoch sehr empört und blieb bei seinen Behauptungen absolut stehen. Später wurden die Erzählungen des Herrn v. Diest mehr öffentlich und nach einem vollen Jahre lud ihn derselbe nach Daher eia, um ihm Dokumente vorzu- legen, welch« von vor 0 bi» 7 Jahren hrrrühren. Lr (Zeuge) habe dies« Einladung ganz entschieden ahgelehnt, weil er keiren Beruf in sich fühttr, über die Finanzge schäfte de» Reichskanzler» zu Gericht zu sitzen. Er habe sich in seinem damaligen Briefe dabin geäußert, er halte die Angaben des Henn v. Diest so lauge für Verleumdungen, bi» st« vor Gericht als Wahrheit bewiesen werden, und wenn er sich dadurch ver letzt fühlen sollte, so möge er mit einem Freund« darüber verhandeln. DaS sei denn später auch in be friedigender Weise geschehe». Nach Erledigung dieses Zwischenfalles bade er (Zeuge) noch einmal mit de» Reichskanzler über die Sache gesprochen und dabei den Eindruck erhalten, daß der Fürst der Meinung war, seiu Bankier habe allerdings ohne feto Wissen Aktien der Central - Bodencreditbank gekauft. DaS habe er zur Abwehr der Verleumdungen mrhrereu Leuten mitgetheilt, und wenn eS sich jetzt als Jrrthnm berauSstellt, so müsse er erklären, daß BiSmarck ihn in keiner Weise zu einer solchen Veröffentlichung veranlaßt habe. E- folgte die Vernehmung de- Herrn v. Beth mann-Hollweg, der seine Stellung zu der Central- Bodencreditbank dahin präcisirt, daß er mit der Financirung des Institut» gar Nicht- zu tbun gehabt, niemal- den Verhandlungen darüber bei gewohnt habe; anch mit der Verwaltung de- VermögenS de- Reichskanzler- habe er sich nie mals befaßt, und könne er de-halb anch nicht wissen, ob der Fürst jemals Aktien der Bank besessen habe. In de« Sitzungen de- NufsichlS- raths sei wenigsten- niemals davo» die Rede gewesen. Dagegen habe ihm v. Wedemeyer ine Unionclub derartige Andeutungen gemacht, die er. der Zeuge, sofort al< abgeschmackte- uud ver leumderische- Gerüre zurückgewiesea Hab« Der Staatsanwalt Bertram führt« aus,
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