72 Ein natürlicher Kanal, der zwei Ströme verbindet. tiger Bäume bewachsen. Vom Fuß dieser Felsen an schwebt, so weit das Auge reicht, eine dichte Dunstmasse über dem Strom, und über den weißlichen Nebel schießt der Wipfel der hohen Palmen empor. Zu jeder Tages stunde nimmt sich die Schaumfläche wieder anders aus. Bald werfen die hohen Eilande und die Palmen ihre ge waltigen Schatten darüber, bald bricht sich der Strahl der untergehenden Sonne in der feuchten Wolke, die den Cataract einhüllt. Farbige Bogen bilden sich, verschwin den und erscheinen wieder, und im Spiel der Lüfte schwebt ihr Bild über der Fläche." Etwa drei Tagereisen oberhalb der Stromschnellen sah sich Humboldt auf den Rath des Vorstehers der Missionen in San Fernando de Atabapo veranlaßt, den Orinoco zu verlassen. Es handelte sich um die Lösung einer der wichtigsten Aufgaben seiner Reise. Schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte sich die dunkle Kunde von einer seltsamen Verbindung zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom verbreitet, die es mög lich machen sollte, auf einem Kahne den einen Strom hin auf und den andern hinab zu fahren. Den Geographen schien das unglaublich; es widersprach ja allen sonstigen Erfahrungen, daß ein Fluß sich gabeln sollte, um den einen Arm einem großen Strome, den andern einem andern Hauptstrome zuzusühren. Diese Frage zu ent scheiden, den Cassiquiare, der eben jene Verbindung der beiden Riesenströme der Neuen Welt Herstellen sollte, selbst zu besuchen und seine Lage zur Beseitigung jedes ferneren Zweifels genau zu bestimmen, war Humboldts Absicht. Deshalb fuhr man nun den Atabapo, den schwarzen Nebenfluß des Orinoco, hinauf und verfolgte dann zwei andere kleine Flüsse, den Temi und den