Die Scliahsewenzen. 423 Ein Charakterzug aber ist allen Schalisewenzen ohne Unter schied eigentümlich: sie üben die Gastfreundschaft im weitesten Sinne des Wortes. Der Schahsewenze nimmt jeden Gast aufs freundlichste auf, sogar seinen Feind, und bewirthet denselben nach Möglichkeit nicht nur aufs beste, sondern steht für ihn sogar mit dem eigenen Leben ein, solange er sein Gast ist. Besondere Erwähnung verdient hier noch die unter den Scliahsewenzen herrschende Blutrache, ein Gebrauch, der nament lich der Einführung von fester Ordnung und gesetzlicher Recht sprechung die grössten Hindernisse entgegensetzt. Wenn bei den häufigen Raubanfällen eines Stammes auf den andern irgendein Mitglied dieses oder jenes getödtet wird, so stellt sich der ganze Stamm des Ermordeten in ein blutiges Feindschaftsverhältniss (Kanly) zum andern. Diese Feindschaft kann eigentlich nur durch Blut gesühnt und getilgt werden. Die Stammesgenossen des Er mordeten halten es für ihre Pflicht, dem Leben aller Stammes genossen des Mörders nachzustellen, wo sie auch immer dieselben finden mögen. In Folge dessen hört zunächst jeder Umgang zwischen den beiden feindlichen Stämmen auf, und die dem Kanly Verfallenen meiden sich soviel als möglich. Criminaluntersuchung und Bestrafung des Mörders auf gesetzlichem Wege söhnen die Beleidigten nicht aus, und der Friede kann nur nach einem alten, geheiligten Gebrauche wieder hergestellt werden, was in folgender Weise geschieht: Die ältesten und angesehensten Häupter des Stammes, zu welchem der Mörder gehörte, oder auch in allgemeiner Achtung stehende Mitglieder eines andern Stammes, erscheinen als Vermittler bei den Beleidigten und machen Friedensvorschläge. Da bei werden zuerst Geschenke dargebracht, der Mörder bringt Ent schuldigungsgründe bei und bietet Geld für das vergossene Blut (Diö); sodann bemüht man sich aus den beiden verfeindeten Stämmen eine Ehe zu schliessen. Gewöhnlich wird ein Mädchen von Seiten der Beleidigten an irgendein Mitglied des andern Stammes ver- heirathet, wodurch wiederum Geschenke und Geldzahlungen seitens des Bräutigams bedingt werden, da alle Unkosten bei dem Ehe- schlusse und die Aussteuer der Braut auf ihn fallen. Da die Männer allein erben, so sind sie im Stande zu zahlen; denn nach den Begriffen der Scliahsewenzen hat das Mädchen kein Vermögen nöthig, da es bis zur Verheiratliung bei dem Vater oder den Brüdern lebt, nach derselben aber vom Gatten ver-