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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1876
- Erscheinungsdatum
- 1876-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187610154
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18761015
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18761015
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- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1876
-
Monat
1876-10
- Tag 1876-10-15
-
Monat
1876-10
-
Jahr
1876
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1876
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Erste Beilage zum Leipziger Tageblatt mb Anzeiger. W W». Sonntag den l.'r. October 187k. Leipzig, 14. Oktober. Der Telegraph hat d.rS Gerücht von der Ab dankung des Kaisers Alexander in der bündigsten Form in das Gebiet der Sensations nachrichten verwiesen. Hoffentlich hat er diesmal nicht gelogen, und gern sehen wir unS der pein lichen Pflicht überhoben, die-schlimmen Folgen auszumalen, die ein solches Ereigniß nach sich riehen könnte. Das persönlich? Band der Freund schaft, das den ruhig erwägenden Alexander mit unserem Kaiser Wilhelm verknüpft, kommt auch den beiden Reichen zu Gute und ist die sicherste Bürgschaft für den Bestand deS DrcikaiserbundeS geworden. Der Großfürst Thronfolger aber, dessen keißspornige und deutschfeindliche Neigungen be kannt sind, würde nicht der Mann gewesen sein, den Faden, der durch Alexander'S Rücktritt ab gerissen worden wäre, wieder anzuspinnen. Welche Wirren und Verwickelungen wären da mit einem Male entstanden! Zum Glück brauchen wir den Gedanken nicht auSzudenken; die Berathungen m Livadia haben ruhigeren Erwägungen die Oberhand gelassen. Alexander bleibt und die Bahn zu einer friedlichen Lösung ist offen gelassen. Doch spricht man von einem neuen Schreiben deS Czaren an den Kaiser Franz Joseph, daS in Livadia fertig gemacht sein soll Ist em solches Schreiben vorhanden oder im Werke, so beschäftigt eS sich jedenfalls mit den WafsenstillstandSbedingungen der Pforte. ES hat sich herausgestellt, daß diese nicht so streng sind, als man anfangs befürchtete. Die Pforte verlangt nur die genaue Einhaltung der jetzigen militainschen Stellungen. daS Verbot jeder Einfuhr von Waffen und Munition in die beiden Fürsten thümer und die Verhinderung deS ZuzugeS auS ländischer Freiwilliger. Ferner soll aver den Fürstenthümern untersagt werden, den benach barten aufständischen Provinzen irgend welche Hülse zu leisten. DaS Schicksal der letzteren is völlig im Dunkeln gelüsten. Und dieS ist die wesentliche Lücke in dem durch die erwähnten Be dingungen vorgczeichneten Friedensprogramm der Türkei. Wo sind die Bürgschaften für eine Besterstellung der aufständischen Provinzen, für die Serbien und Montenegro daS Schwert gezogen und die Rußland unmöglich preiSgeben kann? Letzteres wird einem längeren Waffenstillstand, der die Kriegslage zu Gunsten der Türkei verschiebt, nur dann seine Zustimmung geben können, wenn eS BvSnien, die Herzegowina und Bulgarien, deren Sache eS einmal in die Hand genommen, ge borgen weiß. Wenn England und Oesterreich wirklich den Frieden wollen, so werden sie die Forderungen Rußlands, so weit sie sich in dieser Richtung und in bescheidenen Grenzen halten unterstützen müssen. Die scheinbare Nachgiebigkeit der Pforte ist, wie die „Presse" hört, in erster Linie den überaus eindringlichen Vorstellungen Sir H. Elliot'S zu danken. „Der englische Botschafter hat in so bestimmten und nicht mißzuverstehenden Worten den türkischen Staatsmännern begreiflich gemacht, daß Großbritannien die letzte Macht wäre, welche sich fernerhin für die Türkei interessiren würde, wenn dieselbe durch Ablehnung deS Wafsenstill standeS einen Krieg mit einer Großmacht um jeden Preis muthwillig provociren wollte, daß endlich der selbstmörderische Gedanke eine- weiteren Widerstandes gegen Gesammt-Europa aufgegeben wurde." Wie schwer dem englischen Botschafter seine Auf gäbe gewesen sein mag, erhellt auS einem vom 8. d M datirten Konstantinopeler Briefe der „Indepen dance", worin eS heißt, daß die türkischen Staats männer aus die Gefahr eine- Kriege- hin ent schlossen seien, die osficielle Einmischung der Mächte in dieRegelungderLagederBalkanprovmzen, d H. eine durch Protokoll ronstatrrte Einmischung, welche irgend ein formelle- Eontrvlrecht für die Zukunst sestfetzen solle, nicht anzunehme». Die türkische Regierung wolle die verlangten Reformen be willigen, sich aber zu keiner andern Garantie si chrem Versprechen verstehen. Sie könne freilich nur neuen Vorstellungen und einer immer ener gischeren Sprache der Mächte entgegensehen, aber sie sei auf einen Krieg gefaßt, der ihr unver- weidlich scheine und nicht nur gefaßt, sondern sie rufe ihn herbei in der Ueberzeuguug, daß sie nicht ohne Hülse gelassen werden würde. — Sollte es dem englischen Botschafter wirklich gelungen sein, der Pforte diese Aussicht zu benehmen, so würde er allerdings ein Hauplhinderniß deS Frieden- be seitigt haben. Tagesgeschichtliche lleberstcht. Leipzig, 14. October. In Magdeburg fand am 12. October eine Wählerversammlung statt, in welcher die Abg. Gärtner und v. Sybel, die von Neuem inS Ab geordnetenhaus gewählt werden sollen. alS Sprecher auftraten. Begrüßt von dem lebhaften Beifalle der Versammlung nahm v. Sybel das Wort und bemerkte, daß seine Thätigkeit alS Abgeord neter durch seine Reden und Abstimmungen klar daliege und daß seine Wähler entscheiden müßten, ob er ihren Erwartungen entsprochen und sich treu geblieben sei oder nicht. Auf Polemik wolle er sich nicht einlasien, sondern nur anführen, wie er dreißig Jahre lang literarisch und parlamen tarisch derselben Richtung gesolgt sei. Er wolle nur ein allgemeines Bild der Verhandlungen geben und glaube, daS preußische Volk könne mit den Leistungen deS Abgeordnetenhauses zufrieden sein; durch eine Reihe von gedeihlichen Gesetzen seien die socialen und politischen Verhältnisse wiederum aus neue liberale Bahnen gestellt. Die persön lichen FreiheitSrechte seien gefördert, unbeschadet der nationalen Macbtzwecke; Beide- erfordere häufig einen Ausgleich und die nationalliberale Partei habe nach beiden Seiten hin mit gleichem Maße gemesien. Nachdem der Redner seinen Standpunkt dem Elsenbahngesetz gegenüber ge kennzeichnet und betont hatte, wie die großen VerkehrSstraßen nicht im Dienste eineS einseitigen Privatlnteresscs stehen dürsten, wendet er sich zu der Kircbenversasiung und führt aus. daß die landesherrliche Kirchenqewalt seit 300 Jahren wie eine absolute Monarchie bestanden habe. Männer, die abstracte und radikale Principien ver folgten, hätten die Beseitigung derselben verlangt, aber durch die Bemühungen seiner Partei seien dieser Gewalt feste konstitutionelle Schranken ge zogen; Zweidrittel der Mitglieder der Landes synode gehörten dem Laienstande an, wodurch den hierarchischen Anmaßungen ein Riegel vorgeschoben sei. Wenn auch die volle Beseitigung deS landes herrlichen Regiments nicht erreicht sei, so sei man doch zu gedeihlichen, positiven und realen Ergeb nissen voraedrungen. In Betreff deS Ausbaues der Berwaltungsgesetze bemerkt der Redner, daß die Kreisordnung einen entschiedenen Fortschritt darstelle, nickt so aber die Provinzialordnung, die neben der königlichen Bureaukratie noch eine stän dische schaffe, die aus den Wahlen deS Volke- her- vorgehe. Trotzdem nehme der Landesdirector zu dem Bürger keine persönliche Vertrauensstellung ein, die Verwaltungskosten würden außerdem vermehrt. Als aufrichtiger Freund der Selbst Verwaltung sei er gegen die Provinzialordnung, habe sich aber seiner Partei gefügt und sich der Abstimmung enthalten. Durch daS Gesetz über daS Verwaltungsgericht sei man ferner einen er heblichen Schritt weiter gekommen. Die- Gesetz schlöffe die ministerielle Willkür in Betreff der Interpretationen auS, die hinfort nur von einem ordentlichen Gerichtshöfe geschehen könnten Die nationalliberale Partei sei eine Mittelpartei, die von rechts und links angefeindet werde; die Vorwürfe höben sich aber gegenseitig aus. Unsere Partei wünscht keinen Conflict, denn sie hat ihn durcbgesührt und weiß, daß er unter Umständen nothwendig sein kann, aber ein Segen ist er für daS Land nicht. Wir wollen nicht bloß negiren, wegräumen oder abwcrfen, wir verfolgen positive Ziele und sind für ein freundliches Zusammen wirken, so weit dies unsere liberalen Bestrebungen gestatten. Durch eine feste mäßige Haltung sei eS der nationalliberalen Partei vielfach gelungen, die Regierung zu sich hinüberzuziebcn. — Der Redner führte nun auS, daß eine deutsche Re gierung, welche auf dem Boden der deutschen Einheit stehe, keine conscrvative Politik treiben könne. Die Furcht vor Rcaction theile er nicht. Diese fordere eine Revision der Maigcsetze, ver lange, daß Fürst Bismarck nach Canossa gehen solle. Derselbe könne gar keine Neigung haben, sich aus die konservative Partei zu stützen und eine Partei BiSmarck saiui plirrws würde in kurzer Zeit von dem Lande gerichtet sein. Eine liberale Majorität, die sich von blauen Idealen und rauschenden Phrasen fern alte, aber positive Resultate anstrebe, ei die natürlichste Stütze für die Re gierung. DaS Bild der deutschen Verhältnisse sei kein glänzendes. Bei dem tiefen ökonomischen Mißbehagen suche Jeder nach einem Schuldigen, und Agrarier und Klerikale wetteiferten, die Schuld den liberalen Gesetzen zu geben. Dabei sei aus eine Erfrischung deS öffentlichen Wohl standeS vor der Hand nickt zu rechnen und mit Spannung solgteman den Vorgängern im Südosten Europa-. Die Behauptung, daß er innerlich nicht mehrzur nationalliberalen Fraktion gehöre, sei eine drollige Erfindung oder ein e böswilligeBerleumdung. Herr Eugen Richter habe erklärt, daß Redner die Gesammtentwtckelung der Communalgesetz aebung gehindert und gestört habe. Herr v Sybel schildert hieraus eingehend die Verhältnisse in der Rheinprovinz, in welcher von 61 Kreisen 41 klerikal gewählt haben. Die Ausdehnung der KreiS- ordnunq aus die westlichen Provinzen habe eine große Aufregung der liberalen Minderheit her- dorgerufen. Der TerroriSmus gegen die liberalen und nationalen Elemente sei schon jetzt an der Tagesordnung, darum hätten 300 Bürgermeister in einer Petition sich gegen die Ausdehnung der KreiSordnung auf die westlichen Provinzen erklärt und er habe dieselbe unterstützt, weil er nicht wünsche, daß die städtischen Verwaltungen ganz und gar in schwarze Hände gerathen. Vielleicht, daß rn zwei oder drei Jahren die Lage in der Rheinprovinz sich geändert haben werde; dann sei es ja immer noch an der Zeit, mit der Ein führung dieser Gesetze vorzugehen. Inzwischen aber sei es doch vorzuziehen, daß in der Rbeinprovin; für diese Zeit noch die königliche Verwaltung sortbestehe, statt daß die Provinz den dienstwilligen Anhängern deS Papstes überantwortet werde (Rauschender Beifall.) Schon vor zwei Jahren habe er erklärt, daß er den Culturkampf für die wichtigste Aufgabe halte, die überall in den Vordergrund zu stellen sei, darum frage er, ob er diesem Programm untreu geworden sei? Man glaube ja nicht, daß der Culturkampf beendet sei, bei Berathung deS UnterrichtSgesetzeS wird er auf Leben und Tod entbrennen, eS werden die Lehrer eingeschücktert, daS Vertrauen zu den Schulen wird erschüttert und dem Volke die Ansicht bci- gebracht werden, der gottlose Staat zerstöre nun auch die katlwliscken Schulen. Redner erklärt schließlich, daß er einem ehrenvollen Ruse der Magdeburger Wählerschaft gern wieder folgen würde. Nachdem der lebhafle Beifall, welcher der Rede folgte, verklungen war, dankte der Vor sitzende den beiden Abgeordneten und die ganze Versammlung erhob sich wie Ein Mann von den Plätzen, um dadurch ihre Zustimmung zu diesem Danke auszutrücken. Nach den Angaben, welche über die Zahlen des Militairbudgets bekannt geworden sind, scheint es sicher, daß daS Kriegsministerium die Forderung einer dreizehnten HauptmannS- stelle für jedes Infanterieregiment nicht in der letzten Session dieser Legislaturperiode, sondern erst in der nächsien einbriugen will. Da der be vorstehende Reichstag mit dem Etat, den Iustiz- gesetzen und einigen anderen unaufschiebbaren Fragen für die kurze zu Gebote stehende Zeit hinreichend belastet ist, so ist es wohl auch rath- sam, jene militairische Frage bis zum neuen Reichstag zu vertagen. Die Durchführung der Maßregel könnte ja dock, wenn der Reichstag damit übereinstimmt, im Laufe deS nächsten Jahres geschehen. ES ist übrigens ganz unangemessen, wenn man daS Projekt der dreizehnten Haupt mannsstelle mit dem im vorigen Jahre vom Reichstage abgelehnten Vorschläge, die Landwehr- bezirkScommandos durch aktive StabSosficiere zu besetzen, aus gleiche Stufe stellt. Die Budgetcom mission und ihr folgend der Reichstag wieS diesen Vorschlag lediglich deshalb ab, weil die Verwal tung der Bezirkscommandostellen durch pensionirte Officiere, welche dauernd aus demselben Platze bleiben und mit der Bevölkerung und den Ver hältnissen am besten vertraut sind, für die Ersatz- geschäste zweckmäßiger erschien, als die Besetzung durch aktive Officiere, die, wenn sie dem activcn Dienst nicht entfremdet werden sollen, nothwendig alle paar Jahre ihre Stelle wechseln müssen. Diese Gründe der Budgetcommission wurden auch vielfach von sachverständiger Seite innerhalb der Armee getheilt. Dagegen hat damals die Com mission und der Reichstag durchaus sich nicht verneinend über die Frage entschieden, ob nicht angesichts der französischen Armeereorganisation die Zahl unserer activen StabSosficiere bezw. Hauptleute um etwas zu vermehren sei. Die Kriegsverwaltung behauptete damals, einer solchen Vermehrung zu bedürfen und wies dabei aus die neuen Forma tionen hin, welche gegenwärtig im Fall der Mobilmachung sofort über die früheren hinaus geschaffen würden, und denen es an kundigen Führern fehle. Diese Bedürfnißsrage wurde in der Commission damals nicht erörtert, weil die vorgeschlagene Form der Vermehrung jedenfalls unzweckmäßig schien. Grade dieser unzweckmäßigen Form gegenüber wurde auS der Mitte der Budget commission daraus hingewiesen, daß das angebliche Bedürfniß nickt auf dem Umweg der Bezirks commandos, sondern durch dircclc Vermehrung der Hauptmanns-, resp. Lieutenantsstellen zu er reichen sei. Wenn jetzt daS Kriegsministerium seine Forderung in diese Form kleidet, so würde die Bedürsnißsräge selbst sammt all' denMomenten, welche die Reichskricgsverwaltung vor einem Jahre nur andcutete, geprüft werden müssen. Daß diese Prüfung rein sachlich geschieht und dabei allerdings auch auf die inzwischen vollzogene Armeercorgani- sation der Nachbarstaaten wird Rücksicht genommen werden müssen, Das verbürgt der ernste Sinn, mit welchem die Mehrheit des Reichstags seit Jahren alle militairische«, die Sicherheit deS Reiches betreffenden Fragen untersucht hat. Für die Bcurtheilung der Stellung, welche England zu den Vorgängen im Orient ein- nimmt, bleiben zwar in erster Linie die Tages ereignisse maßgebend, doch ist es, um ein voll kommenes Verständniß zu gewinnen, mit Rücksicht auf den hervorstechend konservativen Zug deS eng lischen VolksckarakterS und der Zähigkeit, mit welcher man jenscitS deS CanalS an den natio nalen Traditionen hängt, von Wichtigkeit, auch auf daS Zeugniß vergangener Tage, wo cs der Oeffentlickkeit zugänglich gemacht wird, zu recur- rircn. Unter diesem GesicbtSpuncte bietet der soeben veröffentlichte zweite Band aus der Lebens beschreibung deS verstorbenen Prinz gemahls eine Fülle interessanten Stoffe-. ES werden darin Anschauungen entwickelt, welche von den Engländern nicht nur nickt für veraltet be trachtet werden, sondern bis zu einem gewissen Grade auch von den heutigen Leitern der eng lischen Politik getheilt werden, wie dies ins besondere mit nachfolgender Stelle der Fall sein dürfte, die einem am Vorabend des KrimkriegeS von Prinz Albert an Lord Aberdeen gerichteten Memoire (Windsor-Castle. 21. October 1833) ent nommen ist. Dieselbe lautet: „SIS Bundesgenossen der Türken sollten wir ganz gewiß sein, daß sie Nichts bezwecken, was außerhalb rnsercr 'MAN und unserer Interessen liegt; daß sie kemen Krieg herbestübren, während wir den Frieden be zwecken; daß sie statt bloßen Widerstandes gegen den Versuch Rußlands, ein mit rhrer eigenen Unabbängiokrit unverträgliches Protektorat über die griechische Bevölke rung zu erlangen, selber nach der Macht streben, zwei Millionen fanatischen Muselmännern eine drückendere Herrschaft über zwölf Millionen Christen einzuräumen; daß sie nicht versuchen das Blatt gegen eie schwächere Macht zu wenden, nachdem sie durch den Beistand Englands und Frankreichs selber die Stärkeren geworden sind. Es unterliegt keinem Zweifel und ist sehr natür lich, daß die fanatische Partei in Konstantinopel derartige Ziel« verfolgt; wollten wir aber mit unserer Flotte Wicke Ziele unterstützen, dann würden wir gegen unsere eigenen Interessen, unsere Politik und unsere Gefühle kämpfen. Daraus ergiebt sich, daß, wenn unsere Wehr kräfte zu irgend einem noch so defensiven Zwecke für die Türkei verwendet werden sollen, wir darauf be steben müssen, nicht allein die Leitung der Verhand lungen. sondern auch die Macht über Krieg und Frieden in unseren Händen zu behalten, und daß, wofern die Türkei dies verweigern sollte, wir ferner für sie nicht mehr Partei ergreifen können. Man wird sagen, daß England und Europa, ab- aes-hen von allen Rücksichten auf die Türkei, ein starkes Interesse besitzen, daß Konstantinopel und das türkische Gebiet nickt in die Hände Rußlands fallen, und daß sie. um einer solchen Zersiörung des europäischen Gleichgewichts vorzubrugr», >m äußersten Falle selbst zum Kriege schreiten müssen. Dies muß zngegebrn werden, rin solcher Krieg wäre gerecht und «eise. Aber cs wäre dies ein Krieg nicht sowohl für die Aufrechterhaltung der Integrität des oltomanischen Reiches, als lediglich für die Interessen der euroväischen Lulturmächte. Er sollte, unbehindert durch Verpflich tungen gegen die Pforte, geführt werden und würde in dem Frieden, der da« Endziel dieses Krieges wäre, wahrscheinlich zur Erzielung eines Abkommrn« führen, welches mit den wohlverstandenen Interessen Europas und des ChristentbumS, der Freiheit und Gesittung besser überernstimmen würde, als wenn daS Joch des unwissenden, barbarischen und despotischen Musel mannes dem fruchtbarsten und von der Natur am meisten begünstigten Tdeile Europas von Neuem anfge- legt würde." Nach der „Deutschen Zeitung" haben die rus sischen Truppenschübe eine noch größere Aus dehnung angenommen als seither. Rach derselben Zeitung ist eine Begehung aller ungarischen Eisen bahnen zur Erhebung ihrer Leistungsfähigkeit für MilitairtranSporte angeordnet worden. Ebenso wird von derselben die Meldung einer russisch- italienischen Abmachung beharrlich wieder holt: Italien soll Tunis erhalten (?). Euterpe. Dienstag, den 17. d. Mts, eröffnet da- seit länger als fünfzig Jahren bestehende Concert- Institut Euterpe die Reihe seiner diesjährigen Winter Ausführungen mit einem Programm, dessen nach jeder Richtung hin vortreffliche Zu sammenstellung die Musikfreunde Leipzigs zu Danke verpflichtet. Es verbindet nicht nur die Werke unserer älteren klassischen Eomponisten mit denen der hervorragendsten der Neuzeit, cP führt auch anerkannte Größen aus der Künstlerwelt vor. Läßt sich von letzteren nur das Beste erwarten, so bürgt auch für eine möglichst vollkommene Ausführung der Orchesterweike der Name deS Mannes, dem die Leitung derselben anvertraut ist. Wil helm Treiber aus Graz wird zum ersten Male an der Spitze unsres Euterpe OrchesterS erscheinen, zu dessen Mitgliedern bewährte Kräfte zahlen. Er hat sich in seinem frühern Wirkungs kreise als Theater-Capellmeister und Symphonie- Dirigent einen so ehrenvollen Nus erworben, daß wir ihm unbedingtes Vertrauen entgegenbringen und dem Eonccrt-Direktorium für dessen Gewin nung nur danken können. Führen wir außerdem noch an, daß Herr Treiber, wie er schon früher Gelegenheit fand uns zu zeigen, einer der tüch tigsten Elavier-Virtuosen der Gegenwart ist, so dürfen wir den neuen Euterpe-Dirigenten mit aufrichtiger Freude begrüßen und dem Concert- Institut ein herzliches Glück aus! zurusen Die Porzellanerde bei A«e. Ein in der gestrigen Nr enthaltenes, mit Ll 8t. unterzeichneteS Eingesandt führt die Porzellan erde von Aue als MehlversälschungSmittek ans. Zur Berichtigung dieser, wie der selbst in den neuesten geographischen Lehrbüchern enthaltenen Angabe über diese Erde theilen wir Folgende- mit. Im Jahre 1855 wurde bei Aue, südöstlich dieser Stadt am Abhänge deS Heidelberger, die letzte Porzellanerde (bekanntlich „verwitterter" Feldspath) gefunden, und da selbst die eifrigsten Nachforschungen rcsultatloS blieben, so wurde da- Bergwerk vollständig aufgegeben und sämmtlicheS Personal entlasten. Der Obersteiger Wenzel allein blieb zur Beaufsichtigung de- Inventar- in seiner Amtswohnung. PiS zum Jahre 1858 wurden jedoch alle Schächte mit ihren Kauen, die Stollen, daS Kunstzeug und alle Baulich keiten im besten Zustande erhalten, sogar theil- weise erneuert und erst nach dieser Zeit den, vollständigen Untergänge preisgegel'en. Mit Aus nahme deS WohngebäudeS sind jetzt sämmtliche Baulichkeiten rasirt und daS Revier nicht mehr den Bergbehörden, sondern, wie die umliegenden Waldreviere, dem Oberförster in Lauter unter stellt. Nach dem im vorigen Jahre erfolgten Tode des Obersteigers Wenzel fand sich noch eine Quantität von 24 Cenlnern der besten, auS der Zeit vor 1855 herrührenden Erde vor, die selbst verständlich nach Meißen transportirt wurde. DoS Revier selbst ist jedoch seines in großer Menge vorhandenen, biS jetzt unbenutzt gebliebenen aus gezeichneten OuarzeS wegen immer noch äußerst werthvoll. Die Besucher der dortigen romantischen Gegend seien hiermit zugleich auf ein vierfach fünssilbigeS Echo aufmerksam gemacht, welches sich oberhalb und südöstlich deS „weißen Zeugs" (der im Bolksmunde gebräuchliche Name für die Por zellanerdenzeche) vorfindet.
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