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Morgen zu sagen. Das Meer liegt noch mit dem Himmel zusammen in blaugrauer Umarmung, ein einzelner Leuchtturm brennt drüben an der Aüste, traumhafte Wellen springen rechts und links um unser Schiff, es ist so recht ein Augenblick für Dämmergeister. Wer ist das eigentlich, der dort aus der Bank sitzt, wo die Schiffs- taue wie Schneckenhäuser gewunden liegen? Ich muß ihn kennen, denn er ist mir schon einmal im Leben begegnet. Hierher gehört er aber ganz und gar nicht, denn er ist ein Bettelmann und ein Narr! Aufs Schiff gehören nur Beamte, Diener und Passagiere mit guten Aleidern. Was in aller Welt will hier der heilige Franziskus! Es ist toll, wie er lacht. Früher konnte ich sein Lachen besser vertragen, als jetzt, denn ich merkte noch nicht, daß es kein Ainderlachen war, kein Lachen weder eines Gottes kindes noch eines Weltkindes. Warum lacht das Gespenst eigentlich heute früh hier auf dem dunklen Schiff? Es lacht aus Gram, für den es keine Worte findet, ja fast möchte ich sagen, es lacht aus geschichtlicher Verzweiflung. 5eit mehr als sechs Jahrhunderten giebt es den Geist des heiligen Franziskus und nie, nie sind die Leute diesem Geiste treu geblieben. Immer neue Jugend hat der Bettler an sich gezogen und hat ihr gesagt: arm wie Jesus diene den Armen! Als aber die Jugend das Leben sah, wurde sie praktischer, diente der Air che oder dem Staat, der Familie oder dem Geschäft, ging in geordnete Alöster oder trug sittsam das Mäntelchen der Tertiarierinnen, aber den ursprünglichen wilden Narrengeist, den feurigen, blinden Bettlergeist des heiligen Franz konnte sie nicht halten. Franziskus wundert sich, daß ich Wein trinke und an langer Tafel speise. Er hält das für unchristlich. Er ist nur deshalb auf das Schiff gekommen, um sein Sprüchlein zu sagen: arm diene den Armen! Ich fange an, ihm zu antworten, daß er selbst zur Beseitigung der Armut nichts gethan hat, daß er mitschuldig ist an Italiens frommer Bettelwirtschaft, daß er von Arbeit, Volkswirtschaft und Fortschritt nichts versieht, daß seine Methode nichts ist, als die Verklärung des Elends, das von ihm gar nicht beseitigt werden soll, — da war er weg, denn für Logik ist nun einmal der heilige Franz nicht sehr zu haben. Er ging durch den Nebel über das Wasser nach Neapel hinüber, dorthin, wo es ewig Bettler geben wird, denen ein Der heilige Franziskus