132 nicht vorhanden. Das geistliche Recht des Korans gilt zuerst nur für die Muhammedaner und ist, soviel uns gesagt wurde, weniger gut durch gebildet als das kanonische Recht des katholischen abendländischen Mittel alters. Neben ihm wuchert allerlei Provinzialrecht, Tradition, Willkür und barbarisches Naturrecht, überall gemildert durch Rücksichten und Bakschisch, bunt durcheinander. In Palästina beispielsweise besteht noch heute die älteste Form der Blutrache unter staatlicher Duldung. Als wir von Nazaret nach Jerusalem ritten, frug ich unseren schon erwähnten vortrefflichen Führer Baldensperger: „Was würde geschehen, wenn jetzt einer von uns erschossen würde?" Die Frage ist innerhalb des heiligen Landes nicht ganz so verwunderlich, wie innerhalb Deutschlands. Baldensperger sagte: „Ganz einfach! Man wird zwanzig oder mehr Männer einsperren und schinden, bis man den Schuldigen hat. Kann man ihn aber nicht finden, so straft man vier oder fünf beliebige Leute, denn Strafe muß sein." Ohne Zweifel entsprach die Antwort der in der asiatischen Türkei vorhandenen Rechtslage. Wie soll man auch zwischen dem Karmel und dem Gebirge Moab immer gerade den ergreifen können, der etwas verbrochen hat? -i- -i- Ls giebt im türkischen Reiche ein Wort von gefährlichem Klang, ein Wort wie Pulver und Zündfaden. Wenn abendländische Mächte die Türkei unter dem Schein der ehrenwertesten Biederkeit plagen wollen, dann brauchen sie dieses Wort. Immer, wenn der kranke Manu einen Arzt holt, verordnet dieser „Reformen". Der Kranke fühlt aber, daß er diese Medizin nicht verträgt. Er sagt: „Jawohl, tzerr Doktor!" schüttet aber die abendländischen Tropfen dann in den Bosporus. * * Man sagt, daß am Zurückgehen des Gsmanentums die Vielweiberei schuld ist. Über keinen Punkt des Türkenlebcns kann der Abendländer schwerer eine bestimmte Ansicht gewinnen als über diesen. Es ist sehr leicht und sehr zwecklos, auf einer Seite eine tadellose deutsche bürgerliche Familie und auf der anderen Seite einen verlodderten klarem eines „Reformen".