KAPITEL II. Das Meer. Italien ist von Natur in die Mitte des Meeres gerückt: seine Be wohner haben sich auf demselben so früh wie irgend ein abendländi sches Volk getummelt, sind die nautischen Lehrmeister der Neuzeit geworden. Auch Rom ist bald nach seiner Gründung in Beziehung zum Meer getreten, hat später die grüfsten Seekriege geführt, von denen die geschichtliche Ueberlieferung zu melden weifs, hat ein Reich ge stiftet, dessen Theile einzig und allein zu Wasser erreichbar waren, das daher die Seeherrschaft zur notwendigen Voraussetzung hatte. Trotz alledem sind die Römer niemals auf dem Wasser heimisch geworden, bekunden vielmehr für ihre hier zu lösenden Aufgaben äufserst geringe Anlagen. 1 ) Schon die Sprache deutet dies an. Während die Hellenen je nach Umständen der See sachliches (to niXceyog) oder männliches (o tcovrog), in der Regel aber wie der Erde weibliches Geschlecht (?) &alaoaa, aXg) verleihen, kommt bei den Römern ausschliefslich die neutrale Bildung vor (aequor, mare, saluni, altum, auch pelagus). Die von jenen am häufigsten gebrauchte Bezeichnung &dXaooa ist von der Bewegung entlehnt, wogegen das lateinische mare mit mors ver wandt, auf die Zerstörung alles Lebens hinweist. 2 ) Die See erfüllt das hellenische Land und die hellenische Geschichte mit ihrem kräftigen Hauch, giebt dem Dasein Gesetze, beherrscht Glauben und Denken bis zu dem Grade dafs sie als Ursprung aller Dinge aufgefafst werden konnte. Von einer Dichtung und Mythologie, von einer Speculation, welche dem Meer eine auch nur entfernter Mafsen ähnliche Bedeutung zuschriebe, fehlt bei den Römern jegliche Spur. Es gilt ihnen weder als heilige Salzflut, noch als willige Nährmutter, noch als Mittlerin des Verkehrs, es gilt lediglich als Grenze des bewohnten Landes. In dem altnationalen Gottesdienst geschieht seiner nur in negativem Sinne Erwähnung: was die heimische Erde beflecken könnte, wird dem frem- 1) Nachdrücklich hervorgehoben Pol. I 37. 2) Curtius, Grundzüge der griechischen Etymologie 3 - p. 310. 619.