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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1874
- Erscheinungsdatum
- 1874-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187407229
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18740722
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18740722
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1874
-
Monat
1874-07
- Tag 1874-07-22
-
Monat
1874-07
-
Jahr
1874
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1874
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3914 nicht zu verkennen, dem Andenken der Gefallenen kann am Fußgestell vollkommen Genüge geleistet, und die Bedeutung der Lipsia könne durch einen Knaben, der ihre Merkmale trägt, bezeichnet wer den, so daß ihre Bewegung eine ungehinderte bleibt. Wie der Sieger darzustellen sei , ob das Schwert in die Scheide stoßend, ob mit der Fahne de- wieder aufgerichteten Deutschen Reichs u. s. w., daS sprechen wir nicht weiter aus, das würde Sache de- Künstlers sein. Aber daS Ganze dürfte so eine Gruppe bilden, wie sie, sofort verständlich, ähnlich weder in Gedanken, noch in der Form schon besteht, und die auch als dankbare Aufgabe den Künstler lebhaft begeistern müßte. Der Aufstellung-Platz müßte, wie dies Schilling schon ganz richtig bezeichnet hat, der Augustus- platz sein. Es hieße überhaupt neuen Wein in alte Schläuche füllen, wollte man ein im Geiste unserer Zeit entworfene- Denkmal auf unseren Markt stellen, freilich wird solcher Fehler oft genug gemacht, und er ist zu entschuldigen, wo man keine Wahl hat; aber wenn man einen AugustuSplatz hat, der förmlich nach einem Denk mal ruft, und man setzt ein solches auf den Markt, dann — doch möglich ist ja Vieles! Die Mitte des AugustuSplatzes fällt links an den Fahrweg, ivenn man nach der Stadt hinein sieht, hier und nirgends anders ist der Aufstel- lungSplatz rathsam, der Reiter nach der Stadt gewendet, also die Hauptansicht von der Straße aus, so daß jedem Herein- und Hinauskommenden diese Ansicht in'S Auge kommt. Möge man, wenn eS noch Zeit ist, diesen Vor schlag einmal ruhig erwägen. Fremdwörter baden wir in solch deutscher Sache absichtlich vermieden, x. Pädagogische Gesellschaft. „Die Pflege der Augen in den Schulen" war das Thema, dem die Pädagogische Gesellschaft Sonnabend den ll. Juli einen zweiten Abend widmete, nachdem in einem früheren Bortrage Herr Prof. I)r. Wenzel über den Bau und die Verrichtung des Auges gesprochen hatte. Nachdem bereits das vorige Mal die Anforde rungen an den Schulbau zur Sprache gekommen waren (möglichst freie Lage, Vermeidung der Süd- und Ostseite zu Unterrichtslocalen, keine Lichtvcr- sverrung durch nahe, das Licht grell reflcctirende Gebäude), kani diesmal in erster Reihe die Sub sellienfrage zur Erörterung. Es erscheint dringend wünschenswerth, daß bei Anschaffung neuer <Aub- sellien die Erfahrungen praktisch verwerthct werden, die man in den letzten Jahren in so vielen Län dern auf diesem Gebiete gemacht hat. Es ist eine unabweisbare Forderung der Humanität, daß die Bank, aus welcher unsere Jugend einen so großen Thcil ihrer Schul- und Lernzeit zu bringt, ihr nicht zu einer Marterbank werde, auf welcher den erhöhten Anforderungen unserer Zeit nachzukommen, körperliche Gesundheit und Seh kraft zum Opfer fallen. Wer die einschlägige Literatur nur einigermaßen verfolgt hat, wer die Schildbach-Cuntze'schc Schul bank kennt, wer aus der Wiener Weltausstellung die außerordentlich zweckmäßigen Schulbänke und Schultische in Agenschcin genommen, der empfindet es schmerzlich, wie so ungemein schwer und lang sam derartige segensreiche Veranstaltungen der Schule zugute kommen. Wie viele Subsellicn auch unserer Leipziger Anstalten schlagen allen pädagogischen, allen gesundheitlichen Forderungen geradezu ins Gesicht , haben weder Lehne, nvcb entsprechen sie den Körpcrverhältnissen der sic Be nutzenden. Hier thut Abhülfc dringend Noth, ganz besonders aber mich gewünscht werden, daß bei Ausstattung neuer Elasten und Schulgebäude die gewonnenen Resultate volle Berücksichtigung finden. Da es aber seststcht, daß durch anhaltenden Blick in die Nähe und vorn übergebcugtc Haltung ein gesundes Auge kurzsichtig, ein myopisches aber noch kurzsichtiger werden kann , so folgt hieraus, daß schlecht construirte Subsellien zur Erzeugung »der Zunahme der Myopie beitragen; denn die Kinder sind durch diese Subsellicn ge zwungen, die Schrift in großer Nähe und bei vornüberaebeugtem Kopse zu betrachten. I)r. Her mann Cohn, Augenarzt in BreSlau, der die Augen vo« über 10,000 Schulkindern und die Subscluen von 33 Scbulen untersucht hat, fand, daß in keiner einzigen Schule die Hohe und Breite der Subsellien von Elaste zu Elaste entsprechend dem Wachsthum der Schüler zunahm. Dagegen fand er 1) die zu große Differenz, 2) die zu große Distanz, 3) die zu große Bankhöhe und 4) die horizontalen Tischplatten der gemessenen Subsellien zur Entstehung von Kurzsichtigkeit geeignet. Aus den Untersuchungen des vr. Cohn folgt: ES giebt keine Schule ohne kurzsichtige Schüler. Die Zahl der Myopen in den verschiedenen Schule» ist sehr verschieden. In den Dorf schulen giebt es nur wenig Kurzsichtige (durch schnittlich 1,4 Proccent). In den Stadt schulen sind 8 mal mehr Kinder myopisch als in den Dorfschulen (durchschnittlich 1l,4 Proc.). In den städtischen Elementarschulen sinket man 5 mal mehr Myop«n als in den Dorf schulen (durchschnittlich 6,7 Proc.). Höhere Töchterschulen sind reicher an Myopen als Elementarschulen (durchschnittlich 7,7 Proc.). ES existirt eine konstante Reihe der Myopenzahl von der niedrigsten bis zur höchsten städtischen Schule (Elementarschulen 6,7 Proc.; Mittelschulen 10,3 Proc.; Realschulen 19,7 Proc.; Gymnasien 26,2 Proc.). Auf den Mittelschulen ist mehr als der 10., auf den Realschulen fast der 5. und auf den Gymnasien mehr als der 4. Theil der Kinder kurzsichtig. Solche Zahlen sollten doch Alle, denen das Wobl der Tugend am Herzen liegt, veranlassen, ft«f Beseitigung derartiger Üebelstände zu dringen, damit das edelste Organ de- KindeS mehr ge schont werde, als eS jetzt geschieht! — Jeden Pädagogen müssen sie aber drängen aus die Kurz sichtigen unter seinen Schülern die nöthige Rück sicht zu nehmen. Ja es erscheint die Frage am Platze, da beim Kurzsichtigen die Wahl des Be rufes ganz besondere Erwägung fordert, ob es nicht bester sei, derartige Schüler vom Zeichen unterricht gänzlich zu dcspensiren. Besondere Beachtung außer der natürlichen und künstlichen Beleuchtung, von der früher die Rede war. verdient ferner der Anstrich der Wände (Heller in dunklern, dunkler in Hellen Räumen), die Stellung der Subsellien. auch des Katheders. Die Schüler müssen stets gleiches Licht von links oben und vorn empfangen, daS Pult darf nie zwischen 2 Fenstern Ausstellung finden. Lackirte Tafeln sind schlechterdings zu verwerfen; am besten sind sie so zu construiren, daß sie an be liebigen Orten, je nach dem einsallenden Lichte ausgestellt werden können. Weiße Tafeln sind be sonders für den naturwissenschaftlichen Unterricht wünsclcenswerth. Ganz besondere Aufmerksamkeit ist in dieser Beziehung auch den Schulbüchern zuzuwenden. Es ist erstaunlich, mit wie wenig Rücksicht für die Augen manche Perleger für «schulen bestimmte Bücher, Atlanten :c. auSstatten. ES dürfte kein Schulbuch Eingang in die Schule erlangen, daS nicht nach Drück und Papier den zu machenden Ansprüchen genügt. Die Tauchnitz'schen Stereo- typauSgaben der griechischen und lateinischen Elassiker, aber auch viele für die Volksschule be stimmte Bücher sind solches Augenpulver. Beim Schreiben laste der Lehrer nicht zu sehr auflegen, dulde keine zu seinen Federn, keine nicht ordentlich durchscheinenden Linienblätter. Die wenn auch wohlfeilen Schiefertafeln mit ihren Strichen hellgrau auf dunkelgrauem Grunde, strengen der geringen Farbencontraste wegen die Augen sehr an. Blaste Tinte ist verwerflich, die jetzt in den Leipziger Schulen herrschende Tinten- noth ist eine wahre Calamität. Viel zur Verhütung deS Nebels beitragen kann ein zweckmäßig aufgesetzter Lectionsplan, der eS vermeidet, daß nach Stunden, welche daS Auge bereits ermüdet haben, die Sehkraft weiter an strengende Lektionen folgen. Wünschenswerth er scheinen ferner Schulgärten, staubfreie Plätze, Gras plätze oder bestreut mit ausgewaschenem Flußsand, nicht mit dem in Leipzig beliebten Augen- und Lungen verderbenden gelben Sande, öftere Reini gung der Locale, insbesondere des Turnsaals. Alles das kann die Schule, resp. die, die Schule unterhaltende Gemeinde thun. Und doch würde Alles wenig nützen, wenn nicht auch das HauS seine Schuldigkeit thut, und mit der ernsten Bitte an dieses, die Schule auch in ihren Bemühungen um das körperliche Wohl ihrer Kinder jederzeit in verständiger Weise zu unter stützen, schließen wir unser heutiges Referat. Leipzig, 15. Juli 1874. Eduard Mangnrr. Schriftführer der Pädog. Gesellschaft. Aus Lta-t und Land. * Leipzig, 21. Juli. Nicht uninteressant dürste unseren Lesern die Mittheilung sein, daß allen deutschen Gemeindevertretungen der Stadtrath zu Leipzig mit dem Ausdruck der Entrüstung über das Attentat und deS Dankes über sein Mißlingen an den Fürst Bismarck vorangeeilt ist. Da« Telegramm aus Leipzig kam bereits in den ersten Vormittagsstunden des 14. Juli in Kissingen an. DaS zweite Telegramm einer Ge meindevertretung war dasjenige des Magistrats zu Frciburg in Breisgau. * Leipzig, 21. Juli. Beim Festmahl der deut schen Eurgäste zu Teplitz nach der Rettung BiSmarck'S aus Lebensgefahr am 16. Juli wurde folgender Trinkspruch von einem sächsischen GerichtSrathe auSgebracht: Wenn'S kein Traum, daß vor vier Jahren An der Spitze deutscher Schaaren Preußens König sich gestellt, Daß zur Seit' ikim Bismarck wieder Hat gesammelt alle Glieder Deutschlands unterm Kaiserzelt; Daß er ohne blut'ge Waffen Jesuiten, tücksche Pfaffen, Kommunisten hat bekämpft; Daß er, immer klug und weise, Mit Gefahr im weit sten Kreise, Jeden Reichsbrand hat gedämpft, Ja dann ziemt es sich, daß heute Gutgesinnte deutsche Leute Scnd vereint zum Festgelag, Nach der Rettung von Geschossen Solcher schwarzen Mordgenossen Feiern einen Jubeltag. Laßt der Beiden uns gedenken. Die des Reiches Schicksal lenken. Unversehrt bis heute noch, Laßt uns einen Dankzoll bringen. Laßt die Gläser hell erklingen: Mit dem Kaiser, Bismarck hoch! * Leipzig, 21. Juli. Wir vernehmen, daß ein hiesiger Astronom, Herr I)r. Löw, von der deutschen Reichsregierung den Auftrag erhalten hat, die zur Beobachtung des Borüberganges der VcnuS vor der Sonne nach der Insel Mauritius zu entsendende Expedition zu begleiten, und daß Herr Löw diesem Ruf Folge leisten wird. * Leipzig, 21. Juli. «Hie „Dresdner Presse" macht sich in ihrer letzten Nummer zu Gunsten der Fortschrittspartei einer recht augenfäl ligen Unwahrheit schuldig. Sie bringt ohne irgend welche Berichtigung die Behauptung ihres Chem nitzer (Korrespondenten zum Abdruck, wonach die nationalliberale Partei nur durch 10 Abgeord nete in der Zweiten sächsischen Kammer vertreten sein soll. Nun gehören aber 16 Abgeordnete (Biedermann, Gchnovr, Panitz, Dietel, Leuschner, Winkler, Körner. Gensel, Penzig, Uhle, Krause, Stauß. Kirbach, Israel, Lange, Pfeiffer) bestimmt zur nationalliberalen Partei und die übrigen Mit glieder der sogenannten freien Vereinigung (Hackel, Ludwig, Jordan, Beck, Bener) haben mit jenen immer so stramm zusammen gehalten und gestimmt, daß man sie bei einer Abwägung der «Ltärke der in der Kammer vertretenen Par teien gewiß mit allem Fug und Recht für die nationalliberale Partei in Anspruch nehmen darf. ES stellt sich daher daS Vcrbältniß der National- liberalen in der Zweiten Kammer gegenüber den Fortschrittlern wie 21 zu 18. Vor kurzer Zeit war daS Verhältniß für die letzteren noch un günstiger. indem die Abgeordneten Rentscb, Krüger und Leistner der nationalliberalen Fraktion än- gebörten. Durch das versöhnliche Entgegenkommen der letzteren Partei sind, an Stelle von Rentsch und Krüger, und ebenso in der Stadt Annaberg, fortschrittliche Abgeordnete gewählt worden. * Leipzig, 21. Juli. Wir empfangen aus dem 43. ländlichen Landtag-Wahlkreis folgende Mittheilung: „Ihre jüngst gebrachte Mittheilung über die Ccmdidatur des Rittergutsbesitzers Adler in Treuen für den 43. ländlichen Wahlkreis bat in hiesigen Kreisen sehr überrascht. Ich bin indeß heute in der Lage, diese Nachricht bestätigen zu können. Den vereinten Bemühungen des Gc- richtsamtmanns in Reichenbach, Borstand der rcichstreuen Herlasgrüner, sowie eine« andern Herrn aus Auerbach ist es endlich nach mehrmaligen Zusammenkünften in Treuen und Herlasqrün ge lungen, Herrn Adler zur Annahme der Wahl zu bewegen. Es soll dies wahrscheinlich der erste Versuch des „reichstreuen Vereins für gemäßigten Fortschritt" sein, und um einem Fiasco möglichst vorzubeugen, hat man sich wohlweislich der hoch achtbaren Persönlichkeit des Herrn Adler ver sichert, der von allen Parteien des hiesigen Wahl kreises und weit darüber hinaus sehr geehrt wird und über dessen aufrichtige Reichstreue ein Zweifel allerdings nicht herrschen kann, da er sich nicht gescheut hat, bei den Reichstagswahlen offen für die Eandidatcn der liberalen Partei cin- zutreten. Derselbe ist auch kein Conservativcr von reinster Farbe und steht jedenfalls in der Mitte zwischen der liberalen und konservativen Partei. Wenn man deshalb auch dessen Wahl, besonders vom Standpuct der localen Interessen, für unbedenklich erachten möchte, kann man sich anderseits nicht verhehlen, daß dieselbe nur der konservativen Partei zu Gute gehen würde. Es wird deshalb mehrseitig be klagt, daß Herr Adler dem Drängen der mehrfach erwähnten, im Grunde doch nur particularistisch gesinnten Personen nachgegeben hat und sich da durch in die Lage bringen läßt, es keiner Partei recht zu machen." (Wir können den Parteigenossen in« 43. Kreis nur anrathen, daß sie aus das Eifrigste fortfahrcn, für die Eandidatur des Herrn Kramer aus Kirchberg mit allen Kräften thätig zu sein und diejenige des Herrn Adler zu be kämpfen. In der Zweiten Kammer ist der Stand der Landwirthe ohnehin schon überwiegend stark vertreten, während sich die Vertreter des Jndustrie- und Handelsstandcs in unbestrittener Minderheit befinden.» — Die „Dr. Nachr." schreiben: Nachdem die zu Bezirksschulinspectorcn ernannten Herren Schulrath vr. Möbius in Gotha und die Scmi- naroberlehrer Theilemann in Grimma und Bracß in Nossen aus verschiedenen Gründen, meist per sönlicher Natur, die auf sie gefallenen Ernen nungen abgclehnt haben, hat dem Vernehmen nach daS Eultusministcrium die Herren Bürger- sckuldircctor Grahl in Chemnitz, Sckuldirector Perthen und Seminaroberlehrer I)r. Wild aus Dresden zu Bezirksschulinspectoren ernannt. tr. Leimig, 21. Juli. Ein permanentes öffent liches Stra ßenä rgerni ß ward uns von den Bewohnern des zwischen Wiesen- und Colonnadcn- straßc gelegenen Theiles der Weststraße, leider erst jetzt, und zwar übereinstimmend mitgcthcilt, über dies Oertlichkeit und Person gezeigt. Auf der Nordseite der Straße wohnt ein anscheinend den sog. höher» Ständen angehörender junger Mann. Dieser untersteht sich fast jeden Morgen, wenn er gegen Mittag sein aristokratisckvs „Lever" hält, an den weit offenen Fenstern seines Wohnzim niers vor den Augen der ganzen Nachbarschaft, deren Damenwelt in Folge dessen gar nicht mehr an die eigenen Fenster zu kommen wagt, eine Art von Schauschwimmübungcn unbefugt vorzunehmen, wobei er buchstäblich im Adamscostumc erscheint, ferner mit einer Nonchalance, die an daS Unver^ schämte grenzt, in aller Gemächlichkeit sein seidenes oder wollenes Leibjäckchen vor seinen Augen auf dem Fenstcrbret in der Sonne trocknen läßt, dann erst die Unterkleider wieder anzieht und seine Toilette mit der rassinirten Umständlichkeit einer — Dame der Halbwelt, unter Zuhülfenahme nämlich von Tuschnäpfchcn und Malerpinsel, Puder rc. behäbig langsam vollendet, und zwar dies Alles am offe nen, durch keinen Vorhang verhüllten Fenster und nicht etwa in einem Dachstübchen nach dem Hofe hinaus, wo er kein anderes Gegenüber als die verliebten Kater der nächsten Dächer hätte, nein, nach der belebten Straße heraus, in der zweiten Etage eine- Hause«, dem Hobe Nachbarhäuser gegenüber stehen. Diese ganze Handlungsweise kennzeichnet sich als ein fortgesetztes grobes Vergehen gegen den öffentlichen Anstand, eine Verhöhnung! der Sitte und als eine gegen die sämmtliche Nach barschaft, und zwar namentlich gegen den weib licken Theil derselben, öffentlich begangene, ge häufte, thätliche Beleidigung im Sinne des Straf- gesetzeS. — Der Scandal wird übrigens, nachdem und weil aus diese Weise der Oeffentlichkeit über geben, damit zugleich sicherlich seine Endschaft er reicht haben. — Zum Benefiz für Fräulein Goßmann findet heute >m Franziustheater die fünfte Aufführung der mit so großem Beifall aufgenommenen Zauberposte: 5 00,000 Teufel statt. Möge die außerordentliche Zugkraft, welche die mit großem Kostenauswande ins Werk gesetzte Posse seither bewiesen Kat, fick im Interesse der Bene- siziantin auch bei der heutigen Ausführung be währen. * Leipzig, 21. Juli. Aus dem benachbarten Lindenall wird uns ein betrübender Unqlücks- sall gemeldet. Eine junge Dame, welche als Er zieherin in der Familie eines dortigen Fabrik besitzers thätig war, reiste init dieser Familie vor Kurzen, nach der Schweiz. In diesen Tagen ist nun die Trauerkunbe eingegangen, daß das junge Mädchen beim Baden im Vierwaldstätter See einen jähen Tod durch Ertrinken gesunden hat. In Lindenau herrscht nur ein Gefühl schmerzlichen Bedauerns über dieses Unglück. LZ Neudnih, 20. Juli. In den späten Nacht stunden vom Sonnabend zum Sonntag ist die Feld und Chausseestraße zu Reudnitz wieder ein mal der Schauplatz einer furchtbaren Schlä gerei gewesen, bei welcher leider auch Messer in Anwendung gekommen sein sollen. Der dienst habende Nachtwächter hat nicht vermocht Etwas gegen die Kämpfenden auszuricbten, so daß die Urheber bisher noch nicht ermittelt sind. Das Toben und Sckreien aus der Straße hat gerade von Nackt- 2 Uhr bi« Morgens 5 Uhr, also bis zum Hellen lichten Tage gewährt. Unsere Polizei organe sind freilich an Sonnabenden und Sonn tagen bei den außerordentlich zahlreichen Excessen in den hiesigen Ortschaften allerwärts so in Anspruch genommen, daß in solchen Fällen kaum aus ihr Erscheinen bestimmt gerechnet werden kann. Sollten denn die Behörden aber wirklich nicht iin Stande sein, diesem frechen Unwesen energisch und mit Anwendung aller zu Gebote stehenden Mittel zu steuern? Es wird nachgerade die höchste Zeit, da die öffentliche Sicherheit that- sächlich auf dem Spiele steht. — Am letzten Sonntag wurde der fünfjährige Sohn des Handarbeiters L. Heunig in Grüü- hain von einer Kreuzotter gebissen und starb trotz ärztlicher Hülse bereits am zweiten Tage. — Das „Wurzner Wockenbl." meldet aus Wurzen, 18. Juli: Gestern Nachmittag hatten wir Gelegenheit, bei ganz mäßigem Luftzuge einen heftigen Wirbelwind oder eine Windhose in nächster Nähe mit anzusehen. Auf der Straße neben dem Benncwitzer Gasthofe zog eine ur sprünglich kaum mannshohe, doch bald bis zur Größe eines Kirchthurms wachsende Staubsäule in tanzähnlicher Bewegung vielleicht 30 Meter entlang fort, bog vor dem nach der Thonwaaren- fabrik abgehcndcn Wege querfeldein, raffte und drehte zum Staunen der Schnitter aus den, Mank'schen Felde aus einer ungefähr 8 Meter breiten Strecke da« eben gehauene Hafer- und Gerstgemcnge in die ungeheure Staubsäule mit hinein und ließ dasselbe erst wieder aus der hoch in der Lust sich ausgebreiteten (!) Staubwolke heraus aus die in der Nähe der Fabrik liegenden Getreideäckcr niederfallen. — Dasselbe Blatt meldet unter dem 20. Juli: In Folge sich wiederholtem (!!) Vandalismus ist durch gedruckte Anschläge der Bestich de« herrlichen RittergutSparks in Machern bei Strafe verboten worden; dennoch batten gestern eine bedeutende Anzahl Wurzcner Erlaubniß zum Ein- tritt bereitwilligst erhalten. Nach Ausbruch die ses Besuchs vertrieben sich ein paar angebliche „Leipziger" im Saale der alten Ruine die Zeit mit Töbsen und Aufhauen auf Tische und Ge mäuer. Anstatt nun dem bestimmten Verbote und der Fortweisuna des die Aufsicht führenden Gärt ners Folge zu leisten, setzten diese Herren dem selben eine Menge ebenso einfältige als ungebühr liche Remonstrationen, ja selbst Bedrohungen ent gegen, bis sie es für gut befanden, sich auf einem Seitenwege auf die Landstraße zu drücken. Hier aber wurden diese Herren — ,n Lindenau woh nende Maurer — von der sofort requirirten Sicherheitspolizei ins Gebet genommen, der Eine nach hier tranSportirt, während der Andere auf Bitten wegen seiner zu Hause harrenden 7 Kin der nach Erlegung einer Caution beimgeschickt ward. Die Sperrung solcher prächtigen Erholungs orte wird vom anständigen Publicum sehr beklagt, gleichwohl bleibt den betreffenden Eigcuthümern nach den seit einigen Jahren wahrgenommenen immer gröberen Ungebührnckkeiten etwas Anderes nicht übrig, zumal eben das anständige Publicum gegen die Brutalität sich selbst zu unthätig verhält. Verschiedenes. — Eine geheime Parole. Bei Gelegen heit der Beschreibung der heißen Kämpfe um Bclsort im Januar 1871 erzählen rheinische Blätter von den badischen Truppen folgende Anekdote: Ein preußischer in jener Schlacht ver wundeter Osficier, in einem Lazarethwagen auf der Fahrt nach der Hciinath befindlich, fragte einen badischen Arzt: „Nun sagen Sie mal, was war das für eine geheime Parole, die sich Ihre Leute mit rollenden Augen und finsteren Mienen leise zuricsen? Ich konnte es um die Welt nicht ver stehen. WaS mag cs wohl gewesen sein? Denn eS lies ganze Fronteil der auf dem Schnee in, Anschlag liegenden Soldaten fort." Der Arzt antwortete: Er wisse von keiner geheimen Parole, dieü müsse ein Jrrthum sein. Doch dort liege ja ein badischer Soldat; er wolle ihn fragen. Die« geschah nun, aber der Soldat antwortete ebenfalls, er wisse von keiner geheimen Parole. „Ihr habt Euch aber doch — sagte der Arzt — als Ihr auf dem Bauche im Schnee läget, Etwas zugeflüftert, was sich von einem Manne zum andern sortpflanzte!" Ah so, entgegnete der Schwarzwälder und lächelte verklärt ungeachtet seiner schweren Wunde: Jo warrle, mer hawe einander zu g'rufe: „Um'S Verrecke lenn mer die Kerl' nett in unser schön badisch Ländle nei! Die solle unser bad'sche Maidle net kriege!"
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