224 Ehrlich währt »im längsten. Der Eigcnthümer richtete sich betroffen auf und griff nach der Brieftasche. Dann warf er einen langen, fragenden Blick aus Barthels und sagte nach einer Pause: „Ihr seid ein ehrlicher Mann!" Barthels bewegte mit feuchten Augen leise den Kopf. „Meine Schuldigkeit," flüsterte er, „meine verfluchte Schuldigkeit." Er konnte nichts weiter herausbringen. Fast unmerklich lächelnd nahm der Fremde die Kassen anweisungen und reichte dem „ehrlichen Finder" fünf von ihnen, jede im Werthe von fünf Thalern. Barthels taumelte erschrocken zurück. „Guter Herr," stammelte er, „zu viel — zu viel! Sie haben sich versehen!" Jener machte eine ungeduldig verneinende Bewegung. Dcr glückliche Flickschuster war ihm beinahe zu Füßen gefallen. Er versuchte aufs Neue zu reden und vermocht' es nicht. „Gott vergelt' es Ihnen!" preßte er endlich mühsam heraus. Der Bediente winkte ihm verdrießlich zu, er möge sich entfernen. Da drückte er noch einmal beide Hände inbrünstig auf die Brust und zog sich unter fortwährenden Verbeugungen und Gcberdcn des Dankes aus dem Gemach zurück. Abermals, wie vor wenigen Minuten, blieb er aus dem ersten Treppenabsatz erschöpft stehen; doch diesmal mit wie ganz andern Gefühlen! Abermals lauschte er, ob Jemand käme, aber diesmal nicht mehr mit der Furcht eines Verbre chers! — Welcher große, entscheidende Inhalt in diesen we nigen Minuten! Aus dem unglücklichsten Menschen hatten sie den glücklichsten gemacht. Als solcher fühlte sich Barthels; der Besitz aller Schätze der Erde kam ihm werthlos vor gegen das unschätzbare Kleinod, das er jetzt in der Brust trug. Er siel weinend auf die Knie und ließ die heiße Stirn auf die gefalteten Hände sinken; — er sprach kein Wort dazu, aber so hatte er nie in seinem ganzen Leben gebetet, so aus der vollen, erschütterten Menschcnscele heraus.