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212 Ehrlich währt am längsten. zustellen. Als ob er das Licht scheue, das ohnehin nur spär lichen Zugang zu diesem Loche fand, setzte er sich dann, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, in einem Winkel entweder auf den bloßen Boden oder mitunter auch auf seine große Bibel. So saß er, die Hände um die heraufgezogenen Knice gefaltet, oft stundenlang, jetzt stumm vor sich hinstarrcnd, jetzt wieder Seufzer ausstoßend und unverständliche Laute mur melnd, oder auch sogar, was jedoch seltener geschah, laut wei nend und heulend. Seltsamer Weise hatte er in diesem Zustand eine weit größere Eßlust als sonst. Gierig schlang er die Bissen hin unter, die seine Frau oftmals sich selbst abdarbte, um ihn nicht zu reizen, und sobald er sich vollgestopft hatte, bettelte er sie noch obendrein, Schnaps holen zu lassen, „damit er etwas zu Kräften käme," wie er sich mürrisch ausdrückte. Man kann sich leicht vorstellen, was die arme Frau dabei zu leiden hatte. Doch hoffentlich sind die Zeiten der Noth und der äußer sten Anstrengung ihrer Kräfte nun auf immer für sie vorbei, denn, daß ich es gerade hcraussagc, mit Barthels ist mit einem Male eine völlige Umwandlung vorgcgangen. Wie und wodurch dies geschehen, das will ich euch jetzt, liebe Leser, der Wahrheit getreu erzählen. Es war etwa vierzehn Tage, vielleicht auch noch etwas darüber, vor Weihnachten, als unser „frommer" Sänger wie der einen ähnlichen Anfall hatte, wie den eben geschilderten. Nachdem er schon seit beinah einer Woche Gesang und Pre digen gänzlich eingestellt, saß er eines Nachmittags abermals in seiner Ecke auf der Bibel, vor sich hinmurmclnd und zu weilen, gegen seine Gewohnheit, lebhafte Geberdcn mit den Armen dazu machend. Seine Tochter Mine, ein sanftes Ge schöpf von fünfzehn Jahren, das bei einem jungen Beamten als Kindermädchen diente und manchen Sparpfennig vom kargen Lohn ins Haus der Aelter« brachte, war zu Besuch gekommen. Die Mutter, die, an Schwindel leidend, schon