206 Kleine Bilder und Geschichten. Und die Hoffnung ist grün. Werden ja in jedem Früh ling selbst die Gräber, worin die lange Hoffenden und Har- rendcn ruhen, grün! Spricht doch aus jedem keimenden Gras halm, jedem Blatte, jeder Knospe die Hoffnung. Der Früh ling ist die Hoffnung, und die Hoffnung ein ewiger Frühling. Noah's Taube brachte das grüne Oelblatt und mit ihm die Hoffnung. Zeder Frühling ist für uns eine Noahstaube. Und ich glaube, die Todten in den Gräbern wissen das ganz gut, und wenn der Lenz seine Flügel regt und die warmen Lüfte über die Erde ziehen: da pocht ihr Herz, ihr Leben und Denken pulsirt, sie fühlen es, daß es warm wird über ihnen, daß die Lerchen singen und die Schwalben schwärmen, und sic treiben aus ihrer Brust Gräser und Halme empor zum Sonnenlichte und zeigen uns, daß sie lebendig sind im Tode. Das ist die Auferstehung, die sie uns verkündigen. Sie rufen uns zu: Hoffet, so werdet ihr erhöret werden! Warum freut sich denn das Menschenaugc, wenn die Bäume grünen, wenn die Primeln aus der Erde steigen? Mit dem Auge freut sich auch das Menschenherz, und das Menschenherz ist etwas Großes, Gewaltiges, das die geheime Sprache des Wcltgeistes versteht. — Warum ist die Farbe der Liebe roth? Weil das Herzblut roth ist und weil nur ein Mensch der ein treues, glaubendes Herz hat, wahrhaft lieben kann. Jede Blutwelle ist dann ein Puls der Liebe und jeder Herz schlag eine Ahnung der Unsterblichkeit. — Und wenn die Sonne untergeht, so küßt sie mit purpurnen Lippen noch zum Ab schied die Erde, die sie liebt; denn sie segnet, befruchtet, er nährt sie. Und wenn die Sonne aufgeht, so küßt sie im Morgenroth mit denselben purpurnen Lippen ihre theure Erde. Wir nennen das Abend - und Morgenroth; aber es ist nur die Liebe, die gewaltige Liebe, welche die Sonne offenbart im Geiste des Herrn!