129 Von Ernst Willkomm. Für die ehrbare Wöchnerin ist es ein Gang der Feier und des Dankes, da der Geistliche vor versammelter Gemeinde der Wieder genesenen von der Kanzel herab oder am Altäre durch Nennung ihres vollen Namens Erwähnung thut und ein Lob- und Dankgcbet für sic und das Kind spricht. Nor Abhaltung dieses „Kirchengangcs" darf die Wöchnerin die Grenzen ihres Hofes nicht verlassen, noch weniger das Haus eines Nachbars betreten. An einigen Orten, namentlich unter den Wenden, pflegt man an jedem Sonntage während des Gottesdienstes dem Kinde das Kleidchen, das es bei der Taufe trug, anzu- legen, in den Wochentagen aber dies Kleidungsstück an eine Sense oder einen Spinnrocken aufzuhängcn, je nachdem cs ein Knabe oder ein Mädchen ist. Auch wird eine Wöchnerin nie die Wohnstube verlassen, ohne ein Gesang- oder Gebet buch auf die Wiege zu legen, um cs so dem besonder» Schutze Gottes zu empfehlen oder vor Schaden zu hüten. Mit dem Dankopfer, welches die Wöchnerin durch den „Kirchengang" der Gottheit darbringt, verknüpft sich wieder ein materieller Lebensgenuß im Hause. Den Pathcn wird von Seiten des Kindelvaters ein glänzendes Essen ausgerichtct. Die ser zweite Schmaus heißt „der Rockcngang" und verursacht den Pathcn nicht unbeträchtliche Kosten. Wie sic am Tauf tage das Kind beschenken mußten, so ist es herkömmlich, daß jeder Taufpathe beim „Nockcngangc" der Wöchnerin eine werth volle Gabe mitbringt. Noch muß ich zweier Gebräuche gedenken, die zwar nicht allgemein üblich sind, aber doch noch immer an vielen Orten Vorkommen. Die Wöchnerin pflegt nämlich nach der Zurück kunft vom „Kirchcngange" den Badewisch des Kindes ihrem Manne einzuhändigcn, der ihn auf die höchste Spitze des höch sten Kirschbaumcs befestigt, damit das Kind als Knabe zu hohen Ehren, als Mädchen zu einer zarten Gesichtsfarbe ge langen möge! Der zweite Gebrauch hat eine lästige Seite. Erfährt nämlich der Nachbar vom Nachbar, daß ihm eine Gevatter-