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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1874
- Erscheinungsdatum
- 1874-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-187412064
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18741206
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18741206
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1874
-
Monat
1874-12
- Tag 1874-12-06
-
Monat
1874-12
-
Jahr
1874
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.12.1874
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«610 lichen Jntriguen der Höfe glauben den Reich-, kanzler erschüttern zu können, indem sie ihn al« einen solchen darstellen, der friedlichen Nationen gegenüber mit allen Mitteln den Krieg herbei, führen will. Solche Jntriguen würde ich Ihnen gern überlasten, ohne auch nur ein Wort deS Tadels auszusprechcn. Aber in öffentlicher Ver sammlung bleS Uber die Regierungen Deutschlands auszusprechen, daS ganze Ausland auf diese Weise gegen Deutschland zu Hetzen, daS ist eine« Vertreters unwürdig (Bravo! Unruhe!); und meine Herren, ich will diese Politik kenn zeichnen, damit fortan alle Angriffe dieser Herren vor Deutschland als da- erschein n, waS sie sind und nicht etwa al- daS. wofür sie sich auSgeben, daß sie erscheinen als Verbrechen gegen da« Vaterland. (Stürmischer Beifall. Rufe: Zur Ordnung!) Präsident v. Forckenbeck erklärt den letzten Ausdruck deS Vorredners für unparlamentarisch und ruft den Abg. Laöker deshalb zur Ordnung. (Beifall im Centrum.) Ava. Windt borst erklärt, daß er auf die bayrische Presse gar keinen Einfluß besitze, aus die „Germania" sehr wenig. Abg Laster erklärt gegen eine Bemerkung Windthorst'S: Ich habe nicht em Wort des Tadels ausgesprochen darüber, daß die auswärtige Poli tik kritisirt wird; waS ich getadelt habe, da« ist die Verdächtigung, daß von Seiten der deutschen Regierungen aus den Krieg hingearbeitet werde. Wenn solche Verdächtigungen mit dem Worte „patriotisch" bezeichnet werben, so scheint mir dieses Wort doch an der Unrechten Stelle zu sein. Nie und in keinem Lande der Welt ist eS jemals für eine patriotische Handlung gehalten worden, die Meinung zu verstreiten, daß die Regierung auf Umwegen einen Krieg herbeizusühren suche. (Beifall.) Abg. vr. Beseler: Nack der vernichtenden Erwiderung, die dem Abg. für Meppen durch den Fürsten Bismarck und den Abg. Lasker geworden, habe ick' nicht geglaubt, hier noch zum Worte zu kommen. Ich will den Herren hier nur noch ent gegnen: das deutsche Volk stimmt nicht überein mit den Worten des Abg. Windthorst, das deutsche Volk hat über daS Attentat gerichtet. Niemand ist der Ansicht, daß eine unmittelbare Einwirkung auf den Verbrecher stattgesunden hat, aber die öffentliche Meinung ist darüber einig, daß daS un» glückselige Attentat hervorgerusen ist durch die Wühlereien von Seiten Derjenigen, welche auf Kullmann Einfluß üben. DaS hat sich in Würz burg gezeigt. (Ruf: Nein, nein!) Leugnen Sie nicht, sonst geben Sie falsches Zeugniß. (Wider, spruch. Oho! Der Präsident rügt diesen Aus druck.) DaS deutsche Volk hat sein Urtheil abge geben, nicht über den Verbrecher, sondern über diejenigen, die ihn angereizt haben. Dem Herrn Reichskanzler rufe ich zu: möge er sich nicht irren, lasten durch die Anfeindungen, die ihn auch hier verfolgen, nicht bloS der Ruhm der Zukunft, son dern auch die herzliche Bewunderung, die Vereh rung der deutschen Nation ist ihm gesichert; sie bezeugen, daß dieses Attentat gewirkt bat, wie die Vorsehung wollte, nämlich zur Kräftigung des Reich- und zur höher» Ehre des Herrn Reichs kanzlers. (Lebhafter Beifall.) Die DiScussion wird geschlossen. Abg. Lenz (Württemberg) erklärt in einer persönlicken Bemerkung: Meine Herren! Der Herr Reichskanzler hat auf die zweite Bank hin- gewicsen, von welcher ihm ein Ruf „pfui" ent- gegeugekommen sei. Ich muß mir, meine Herren, da ich von verschiedenen Seiten gehört habe, daß die Hinweisung deS Herrn Reichskanzlers auf unsere Bank geschehen sei (Ruf: nein!), zu meiner persönlichen Vertheidigung und zur Abwehr er lauben, darauf hinzuweisen, daß jener Ausdruck, den der Herr Präsident als unparlamentarisch gerügt hat. von einem daneben sitzenden Abgeord neten, dessen Name mir als Graf v. Balle strem bezeichnet worden ist, ausgegangen ist. (Zustimmung.) Abg. Graf v. Balle st rem persönlich: ES ist mir neu im parlamentarischen Leben, daß ein College dem andern, wie dies eben geschehen ist, einen Ordnungsruf ertheilt. (Gelächter.) Daraus wird der Etat ohne weitere DiScussion bewilligt; ein Gleiches geschieht e. mit dem Etat deS Reichstages, bei welchem Abg. Reimer für die Erhöhung der Diäten der Diener deS Hauses spricht, die Etat« ü. des Rechnungs hofes, e. desReichSoberhandelSgerichls, woraus die Sitzung vertagt wird. Schluß nach 4 Uhr. Nächste Sitzung: Sonn abend 1l Ukr. Tagesordnung: Fortsetzung der EtatSberathung. Zur Lage. «*» Berlin, 4. Dccember. Die definitive Aushebung des deutschen Ge sandtenpostens beim päpstlichen Stuhle ist nach der heute im Reichstage verlesenen Mit- theilung deS Reichskanzlers vollzogene Tbatsache. DaS Aussehen, welches diese Miltheilung im Hause hervorries, bewies, daß sie unerwartet kam und daß man in Erinnerung an frühere Erklärungen de- Fürsten Bismarck vielmehr einen heftigen Kamps über den bereits cingcbrachlen Löwc'schen Strci- chungS-Autrag erwartet halte. Wie übrigens heute verlautete, wird das Ccntrum bei der Be rathung dev Etats für das Auswärtige Amt Veranlassung nehmen, den Gegenstand zur Sprache zu bringen, um eine motioirte Erklärung deS Fürsten BiSmarck zu provvciren. In gewöhnlich unterrichteten Kreisen wollte man wissen, daß der in Rede stehende Titel nur in den Etalsenlwurf ausgenommen worben sei, weil der letztere während der Abweienheit des Fürsten Bismarck ausgestellt worden, so daß cS dem Reichskanzler nicht möglich gewesen, über die Aufhebung des Postens dem Kaiser persönlich Vortrag zu halten. Auf anderein Wege aber hätte er eine Entscheidung in der Sache nicht herbeiführcn wollen, weshalb die einstweilige Einreihung deS Titels erfolgt sei. ES wäre dem nach die Aushebung des Posten- längst beschlossene Sache gewesen, und die Annahme unzutreffend, als ob daS gleichartige Vorgehen Englands in dieser Beziehung von irgend welchem Einfluß auf die Entschließung des deutschen CabinetS ge wesen sei. Die Nachricht von einer bevorstehenden Hinaus schiebung des Verhandlung-. Termins in dem Arnim'schen Processe wird uns insofern als unbegründet bezeichnet, als ein auS Gesundheits rücksichten gestellter Antrag de« Angeklagten be hufs Aufhebung de- Termins dem Gericht biSjetzt noch nicht vorliegt, irgendwelche andere Motive aber zu einer Verlegung des einmal anberaumten Termins nicht führen dürften. Ein Gesuch der Vertheidigung um Gewährung einer längeren Frist ist bereit- abschlägig beschicken worden. Die zum Theil aus entlegenen Gegenden herbei gerufenen Zeugen, sowie der einmüthige Wunsch der öffentlichen Meinung, den Richterspruch bald gefällt zu sehen, sollen daS Gericht zu dem Ent schlüsse geführt haben, jeden nicht unabweisbaren Vertagungsantrag zurückzuweisen. Bei der demnächst zu erwartenden Bildung der Provinz Berlin wird der Oberpräsident der Provinz Brandenburg zugleich das Präsidium über die neue Provinz Berlin führen, während der Polizeipräsident von Berlin alle jene Befug nisse der Landespolizeibehörden erhält. Die neue Provinz wird auS drei Kreisen bestehen, von denen der eine die in der Nähe Berlin- gelegenen Ortschaften des Teltower und Niederbarnimer Kreises, der zweite die Stadt Charlottenburg und der dritte die Stadt Berlin mit dem unmittelbar anliegenden Gebiete umfassen wird. Die Befug nisse des ProvinziallandtagcS sind in den andern Provinzen geregelt. In dem für die lausenden Angelegenheiten zu bildenden Provinzialausschuß wird der Oberbürgermeister von Berlin den Vor sitz führen und auch die Vertretung nach außen übernehmen. Neben ihm haben in dem Ausschuß noch der Bürgermeister von Charlottenburg und zwölf vom Landtage gewählte Mitglieder Sitz und Stimme. Für die Provinz wird ein beson derer Verwaltungsgerichtshof errichtet. Ueber die Communalangelegenheiten entscheidet in erster In stanz der Oberpräsident, in zweiter der Minister deS Innern. Tagesgeschichtliche Ueberslcht. Die „Nat.-Ztg" schreibt: Die erfolgte Zur- diSpositiouSstellung des Oberpräsiden ten v. Nordenflycht hat nicht überraschend kommen können. Wir selbst waren vor einiger Zeit, wie man sich erinnern wird, in der Lage, aus der nach stenographischer Auszeichnung unS vorgelegenen Proceß- Verhandlung gegen einen schlesischen katholischen Geistlichen seststellen zn müssen, daß dieser, wie auch der Gerichtshof in seinem Urtheil ausgesprochen hatte, zu seinem mit den Maigesetzen in Widerspruch stehenden Ver halten durch den Oberpräsidenten von Norden- flvcht indicirt worden war. Herr von Norden- flycht hatte selbst vor Gericht einräumen müssen, daß die von ihm gegebenen Weisungen mit dem Gesetze sich nicht in Einklang befunden haben. Seine vorgebrachte Entschuldigung, daß dies le diglich aus „incorrecter Fassung" beruhe, war offenbar nicht geeignet, sein Verhalten in milderem Lichte erscheinen zu lassen. Im besten Falle wollte dadurch der Borwurf bösen und ungesetzlichen Willens durch die Erklärung der Unfähigkeit, die Maigesetzc ihrem wahre» Sinne nach aufzufassen, entkräftet werden. Ein- so wenig wie daS Andere durfte von der Staats regierung im gegenwärtigen Falle gelitten werden. Der Kampf, in welchen der preußische Staat und das Deutsche Reich gegen die jesuitische Organisa tion der römischen Kirche eingetreten ist, ist viel zu ernst, um eine Erschwerung durch lässige oder unfähige Ausführung der für geboten erkannten gesetzlichen Abwehrmaßregeln zu ertragen. So wenig erfreulich die Nothwendigkeit diSciplinarer Maßregeln, zumal gegen hohe Staatsbeamte, ist, welche die Pflicht haben, dem Volke und dem Beamtenthum insbesondere in gewissen hafter Beobachtung der Staatsgesetze voran zuleuchten: so sehr verdient es doch Aner kennung, daß die StaatSregierung ohne An sehen der Person die Autorität der Staats ordnung zur Geltung gebracht hat. Nicht bloS die ultramontane Partei, sondern auch die Kreise deS Beamtenthumö, welche auS der Zeit der Mantcufsel - Westphalen - Lippe - Mühler noch die Neigung festhalten zu könnep meinen, in die Hand habung der Gesetze ihre Parteiaussassungen ein- flicßen zu lassen, empfangen eine ernste Mahnung, baß jetzt endlich in Preußen das Gesetz und nur dieses die Richtschnur der öffentlichen Verwal tung abzugeben hat. Insbesondere für manche hervorragende Persönlichkeiten im Ressort deS Ncinisters des Innern. Grasen Eulenburg, wo schon lange der eng geschlossene Kreis, auS welchem bei den wichtigen Aemterbesetzungen die Canbi- dalen ausschließlich gewählt werden, die öffent liche Aufmerksamkeit erregt hat, kann eine solche Warnung nur nützlich wirken. Die Commission für den LandcshauShalt von El saß-Lol bringen bat sich beute constituirt und den Abgeordneten Miguel zu ihrem Vor sitzenden grwäblt. Bier Elsaß-Lothringer Ab geordnete sind zu Mitgliedern dieser Commission gewählt worden und zwar haben die National- liberalen auf die ihnen übereinkunft-mäßig zu- sallcndc Anzahl Conunifsionömitglicder einen Elsässer übernommen, die Klerikalen zwei und die Fortschritt-Partei einen. Die vier reich-ländischen Abgeordneten, die hier in Frage kommen, die Herren Gerber. Simonis. Winterer und v. Schauen burg, baden aber blS jetzt ihre Bereitwilligkeit, in die Commission einzutreten, noch nicht erklärt. Die Führer de- Centrums haben denselben sehr lebhaft zugesetzt, das ihnen übertragene Mandat anzunehmen, die Elsässer aber haben sich bis jetzt halsstarrig gezeigt; sie haben in dem Plenum deS Reichstages gegen die Verhandlung de- Elsässer Budget- im Reichstage protestirt; in der Com mission hätte ein solche- Protestiren keinen Sinn. Auch fürchten sich diese Abgeordneten allzu sehr vor Dem, waS man im Elsaß etwa sagen würde, wenn sie sich an den Arbeiten der Commission betheiligten; schon gelten sie in der That bei den Allerheiligsten unter den Elsässer FransquillonS als allzu großer Mäßigung verdächtig. Bekannt lich fürchtet sich im Elsaß rmmer Einer vor dem Andern und nur Wenige haben den Muth inne, eigene und selbstständige Meinung zu haben. Eine definitive Erklärung ist jedoch von den Elsässern noch nicht abgegeben worden und es hieß gegen Ende der heutigen Sitzung, dieselben seien in ihrem Entschluß wieder wankend geworden. Un seres Erachtens hat der Reichstag das Seinige vollständig gethan; welchen Vorlheil die Com mission von der Gegenwart der Elsässischen Ab geordneten haben würde, ist schwer abzusehen, denn eS ist von diesen Herren bekannt, daß sie eine ganz systematische Opposition treiben und in ihrer fanatischen Leidenschaftlichkeit eines ruhigen und sachlichen Urt Heils durchaus unfähig sind. Lassen sie die Gelegenheit aus, im Interesse ihres Landes thätig zu werden, so mögen sie dies mit ihren Landsleuten dann selbst auSmachen; das Reich hat dabei nichts zu suchen. Das preußische Mikitair-Wochenblatt bespricht in seinem nichtamtlichen Theil die Verluste de« französischen Heere« im letzten Kriege, nach dem Werke deS französischen Arztes vr. Chenu, und weist dabei aus die Schwierigkeiten hin, die für Frankreich bei Anfertigung eine- solchen Be richt« sehr bedeutend waren, weil ein großer Theil der französischen Verluste in Frankreich selbst lange Zeit unbekannt blieb, dort niemals Verlustlisten amtlich veröffentlicht wurden, und eS namentlich dem Berliner Centralcomits für Pflege verwun deter Krieger sowie der Baseler internationalen Agentur als ein wesentliches Verdienst zugeschrieben werben muß, über den Verbleib französischer Ver wundeter Auskunft ertheilt zu haben. In Frank reich belief sich die Zahl der in die Ambulancen oder HoSpitälcr als verwundet oder krank Auf genommenen auf 470,52 t, nämlich der Verwun deten mit speciellcr Bezeichnung aus 82,861, der Verwundeten ohne specielle Angabe auf 48,230, der Fußkrankcn auf 1l,421, der sonstigen Kranken auf 328,000. Der wirkliche KricgSverlust an Todten oder Vermißten, durch Wunden öder Krankheit Gestorbe nen betrug 138,871 Mann, worunter 2881 Officiere. Weiter sind darunter 17,210 Mann, die in deutscher Gefangenschaft. 1701, die während der Interni- rung in der Schweiz, und 124, die während der Internirung in Belgien starben. Frankreich verlor beinahe 90,000 Mann mehr al- Deutschland, und Chenu setzt diesen sehr beträchtlichen Unter schied auf Rechnung der ungenügenden Einrich tungen der Ambulancen. für welche vor dem Kriege keine entsprechende Sorge getragen war. Die große Zahl der Fußkranken wird durch die ungenügende Fußbekleidung, Schuhe mit Gamaschen, welche in Schmutz und Schnee sehr bald den Dienst versagten, erklärt. Als eine erschreckende Ziffer erscheint den Franzosen die Zahl ihrer 328,000 Kranken. Gründe dieser Thatsachen finden sie in der ungünstigen Organisation ihrer Militair- Lerwaltung, der Ambulancen und besonders in der Beschaffenheit ihres Schutzzeltes, welches wohl für Algerien und Mexiko gut sei, für Europa aber gar nicht mehr passe, sobald die gute Jahres zeit vorüber ist. AuS München wird vom 4. December ge meldet: vr. Sigl hat, wie daS heutige „Vater land" meldet, von dem ihm fzustehenden Rechte der Einsprache gegen das Contumacialerken'ntniß vom 30. v. M, durch welches er wegen ver leumderischer Beleidigung deS Fürsten BiSmarck zu einer Gefänqnißstrasc von 10 Monaten ver- urtheilt wird, gebrauch gemacht. Die Angelegen heit wird somit nochmals zur Aburtheilüng vor bas Schwurgericht kommen. — In einem der hiesigen Handelskammer zugegangenen Circular- erlaß empfiehlt der Minister deS Innern sämmt- lichcn Handelskammern die Benutzung de« Con- troll-HandelsregisterS für daS Deutsche Reich. In der „Constanz. Ztg." wird nun die in Aus- sicbt gestellte Erklärung des ehemaligen RedacteurS des ultramontancn „Bad. Beobachters", vr. Ferd. Bissing, veröffentlicht. Dieselbe, in einem ruhigen, aber sehr entschiedenen Tone gehalten, der einen sehr guten Eindruck macht, ist der voll ständigste Absagebrief an die ultramontan e Partei und wirst ein Helles Licht aus deren Treiben. Herr Bissing, schon seit einigen Wochen Mitarbeiter der „Const. Ztg.", erklärt seine „ent schiedene Absicht, in dem Kampfe unserer Tage auf Seiten deü Staates und seiner Gesetze Stellung zu nehmen" und spricht die Ueberzeugung aus, „daß lediglich die Anerkennung und Befolgung der Staatsgesetze das letzte und einzige Ziel deS Kampfes seitens der obersten Behörden des Deut- schen Reiches wie unseres engeren Vaterlandes Baden bilde." Man erfährt nun von ihm selber, daß er vor seinem Rücktritt von dem „Bad. Beobachter" der „katholischen Volkspartei" den eindringlichen Rath gegeben, den Frieden zwischen der Staats- und Kirchengewalt kcrzustellen. Er erntete dafür nur Hohn und wurde vor die Wahl gestellt, entweder unbedingt der kriegerischen Parole Folge zu leisten, oder aber von der Leitung des ersten Organs der Partei zurückzutrctcn. Er gab nur der Stimme der Pflicht und Ueberzeugung Gehör und verließ eine Sache, die nicht mehr die seinige sein konnte. Wie Viele mag cS geben, welche die Ueberzeugung BissingS theilen, aber noch nicht den Muth, wie er, besitzen, sich von einem ebenso schmählichen wie dcmüthigenden Joche frei zu machen! Und doch wird sei» Vorgang nicht allein bleiben. AuS Wien wird vom 4. December gemeldet: Das Abgeordnetenhaus nahm heute die Special- berathung deS Budget- vor. Bei der Debatte über den den Ministcrrath betreffenden Titel er klärte der Ministerpräsident Fürst von Auersperg, gegenüber den gegen die Creirung eine« eigenen Ministers für die Presse und eines Ministers ohne Portefeuille gerichteten Aeußerungcn der Abge ordneten Ditte und Stendel, das gegenwärtige Cabinet bilde ein harmonisches Ganze, in wel« chem die beiden erwähnten Minister nothwendig seien. Es gebe keinen Sprechminister und keinen Preßministcr. WaS die ofsiciösen Zeitungen be treffe, so sei man an gewisser Seite gewöhnt, osficiöse Zeitungen solche zu nennen, welche den moralischen Muth hätten, aus die Regierung nicht loszuschlagen; ihm (dem Ministerpräsidenten) sei die Unabhängigkeit mancher sogenannten ofsiciösen Blätter lieber, als die Unabhängkeit mancher sogenannten unabhängigen Blätter. (Beifall.) Der Titel betreffend den Ministcrrath wurde daraus angenommen. AuS Paris wird vom 2 December gemeldet: Ueber den gestern abgehaltenen Ministerrath verlauten einige Details, die daS Zerwürfniß im Cabinet deutlich erkennen lassen. Die Herren Tailhand, de Cumont, General de Cissey und General de Chabaud-Latour hatten verschiedene Einwendungen gegen den ausgestellten Text der Botschaft zu machen und wiesen besonder- darauf hin, daß man bei der gegenwärtigen Haltung der Legitimisten und eines TheileS der gemäßigten Rechten Alles vermeiden müsse, WaS neue Differenzen in diesen beiden Gruppen Hervor rufen könne. Der Minister des Innern drückte sich bestimmter au«, erwähnte die bcklagenSwerthen Resultate der Municipalwahlen in den großen Städten und protestirle lebhaft gegen die Auf hebung des Belagerungszustandes — eine Mög lichkeit, welche die Botschaft als in nächster Zeit bevorstehend durchscheinyi lassen wollte. Die Herren Mathieu Bodet, Caillans und Herzog von DecazeS, welche die Ansicht vertreten, daß man dem gemäßigteren Theile deS linken Centrum einige Zugeständnisse machen müsse, konnten durch die Majorität des Cabinets nicht von ihrer Ansicht abgebracht werden. Kurz, nach ziemlich drei stündiger Berathung und trotz der vermittelnden Intervention des Marschall Mac Mahon konnte man keine Uebereinstimmung erzielen. Zn der Stadt geht daS Gerücht von der Eventualität einer unmittelbaren Ministerkrisis als Folge der im Conseil entstandenen Meinungsverschiedenheiten. Verschir-enrs. — Nach Untersuchungen de- Geographen August Petcrmann in Gotha ist das von den Wiener Nordpolfahrern entdeckte Franz-IosephSland bereit- vor 300 Jahren von einem holländischen Seemann, Cornelius Roule, entdeckt worden. Wie wird eS nun mit dem neuen Namen werden? Selbst am Nordpol kommt Oesterreich — zu spät. — Abgcsetzte Heilige. Das neueste An- reigeblatt der Erzdiöccse Freiburg enthält eine Bulle de- PapsteS, mittelst welcher die Identität der zu Mailand gefundenen Körper der Märtyrer GervasiuS und Protasius bestätigt wird. Ange hängt ist ein Erlaß des BislhumsverweserS Kübel, nach welchem unter Anrufung de- heiligen Ambrosius und der eben genannten Märtyrer für die gegenwärtigen Bedürfnisse und die Er höhung der heiligen Kirche gebetet werden solle, wofür ein vollkommener Ablaß erworben werden könne. Somit sind also die Breisachcr Heiligen gleichen Namen- definitiv abgesetzt und ihre seil 700 Jahren verübten Wunder geschahen offenbar höchst unbefugter Weise! — Stuhlrichterjustiz. Man mag über Ungarn sagen, waS man will, es bleibt doch immerhin ein interessantes Land. Ueber die „Lattenkammer" des Stuhlrichter« KaldrovicS im Barcser Comitat enthält das „N. Pester I." die Zuschrift eine- der Gemarterten, der ausnahms weise den Muth hat, gegen den „Herrgott" des Comitat« Front zu machen. Ignatz Spitz, so heißt dieser Mann, erzählt: „Der Stuhlrichter bat einen allen Kasten, welcher auS dreikantigen scharfen Latten zusammcngestellt ist und welche» er mit einer gewissen Passion als Folterwerkzeug für solche Menschenkinder benutzt, die seine Un gnade zu Verbrechern stempelt. Der Herr Stuhl» richter betreibt es gewissermaßen als eine Art von Sport, solch eine menschliche Creatur vier Tage hinter einander täglich sechs Stunden die Schrecknisse seines Marterkastenö empfinden zu lassen, und dabei muß der arme Delinquent — genau so, wie der Sluhlrichter cs ticlirt — nackt, liegend oder stehend, die Strafzeit da zubringen und es widerspruchslos ertragen, wenn ihm von den scharfen Kanten der Latten die Haut auf- gerieben wird, und dies die unsäglichen Oualen nur noch erhöht. Bor der stuhlrichterlichen Canzlci befindet sich ein Vorbaus, in welchem es während deS Sommers recht kühl, zur Winlerzeit aber grimmig kalt ist. Wenn cs nun dem Herrn Sluhlrichter beliebt, so läßt er den Lattenkastcn inS VorhanS stellen und muß der Delinquent auch da un nackten Zustande die grausame Tortur ertragen." — Diesem Treiben de« Kal- drovicS ist nun ein Ende gemacht; wer weiß aber, an wie vielen Orten in Ungarn sich AchnlicbeS ereignet und sich so lange ereignen wird, bis eine völlige Iuftizrcsorm durchgcsührt ist. — Ein ungalanteS russisches Sprüchwort sagt: Gehst Du in den Krieg, so bete einmal; gehst Du zur See, bete zweimal; nimmst Du eine Frau, bete dreimal!
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