Die Entwicklung der Culturvölker hängt von ihren Culturkräften ab. 75 ihres Landes in der Regel sehr bedeutsame Elemente ihres Wohlstandes sind. Wie verhältnißmäßig unbedeutend aber doch diese Vorbedin gungen der Naturumgebung im Vergleich zu der Wirksamkeit geistiger Kräfte sind, das beweist uns ebenfalls die Culturgeschichte unserer Nachbarvölker, Niederland einerseits und andrerseits Frankreich. Noch am Ende des 17. Jahrhunderts beherrschte Niederland die Fracht schiffahrt der Welt ganz in ähnlicher Weise wie es heute der englische Stamm thnt. Sir William Petty berechnete *) damals die gesammte Tonnenzahl der europäischen Kauffahrteiflotte auf 2 Millionen Tonnen und davon 800,000 Tonnen allein den Niederländern gehörig. Dieses Uebergewicht Hollands beruhte sicherlich nicht vorzugsweise auf naturellen Vortheilen. Das Land war weder reich an Bauholz noch an Metall. Sein Schiffbau war viel theurer als der Englands, und auch damals schon waren die brittischen Inseln ungleich günstiger für den See handel und für das Weltfrachtgeschäft gelegen. Es war offenbar vielmehr die überlegene culturelle Bethätigung Niederlands in jeder Richtung, intensiv wie extensiv, welche dieses kleine Land auf seine bis dahin unerreichte Höhe gehoben hatte. Die geistige Entwicklung des Volkes war durch die Widerstände seiner schweren kämpfenden Ver gangenheit erstarkt; mit dem Geiste religiöser und politischer Freiheit wuchs auch seine industrielle Kraft, sein kühner Welthandelsgeist und mithin — sein Wohlstand, sein Capital und seine Cultur. Frankreich dagegen ist von Natur vortheilhaster gestellt als England. Es liegt in einem günstigeren Klima und seine Küsten werden von drei Meeren bespült. Während England nicht reicher ist an Naturschätzen, kaum den dritten Theil so fruchtbar und nur an zwei Meeren gelegen ist. Dennoch hat die brittische Nation ihr Land zu zehnfacher Bedeutung für die Cultur-Entwicklung der Erde und ihrer Völker erhoben! Und warum dies? — Auf dem Gebiete der intensiven Cultur-Entwicklung haben die Franzosen sich den Britten und Niederländern völlig eben bürtig erwiesen; aber es fehlt ihnen an der Begabung des germanischen Stammes zur extensiven Cultur-Entwicklung. **) *) Bergt. Merivale »lisoturss on Ooloviss stv.« 1861, xsA. 210; eine vollständige Zusammenstellung aller Handelsflotten der Welt habe ich in meiner „Ueberseeischen Politik" (pax. 256) gegeben. Die Kauffahcteiflotte des Ver. König reichs beläuft sich auf 6'/, Millionen Tonnen, die gesammte Tonnenzahl unter brittischer Flagge aber auf 8'» Millionen gegen 18'S Millionen Tonnengehalt aller Seeschiffe des Welthandels. **) Vergl. hierzu auch „Ueberseeische Politik, xnA. 57. Es ist gerade der allerwesentlichste Unterschied, welcher begrifflich die „Culturvölker" von den „Natur-