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72 Entwicklungsfähigkeit der Colonisation. Diese Behauptung, für welche ich ebenfalls in der erwähnten Schrift eingehende Nachweise niedergelegt habe, ist mehrfach in der Presse da hin mißverstanden worden, daß ich gegen Colonisation aufgetreten fei, oder dieselbe als für unsere Nation entbehrlich hingestellt habe. Die Cultur-Erziehung der zurückgebliebenen Raßen des Menschengeschlechts, die Erschließung und Verwendung ihrer Arbeit und der Naturschätze ihrer reichen Tropenländer für die Civilisation bleibt allerdings das höchste Ziel extensiver Culturpolitik; dies ist mithin auch für unsere Nation die größte Culturaufgabe und mag wohl dereinst unser eigent licher Weltberuf werden. Jedenfalls aber ist unbestreitbar, daß auch Colonisation gerade für uns zunächst ein viel dringenderes Bedürfniß ist, als es für irgend ein anderes Volk sein mag, und ich habe dies auch in den „Nachträglichen Bemerkungen" meiner genannten Schrift *) ausdrücklich hervorgehoben. Ich bin sehr weit entfernt davon, die hohe Rentabilität oder die großartige Entwicklungsfähigkeit eigentlicher Colonisation zu bestreiten. Ein Blick auf die brittischen Colonien, Canada, Australien und das Capland zeigt, daß der Handelsverkehr dieser Länder, von welchem die Hälfte auf den Umsatz mit ihrem Stammlande, England, kommt, nicht nur in gleichem, sondern in drei- bis vierfachem Verhältnisse ihrer wachsenden Bevölkerung gestiegen ist: In den Jahren Volkszahl d. s britt. Colonien Handelsumsatz in Lstlx. A. p. Kopf d. Bevöllrngen. 1810 1'558,000 7-430,000 S5 186« 4'969,000 6Z'720,000 256 1818 8'114,000 147-610.000 364 Die entscheidenden Elemente des Wohlstandes und der Wohlfahrt einer Nation sind stets nur ihre kulturellen Kräfte. Daß kein selbst ständiges Volk bei einer einseitig intensiven Bethätigung dieser Kräfte, überseeischer Wirtschaftsgebiete handelt, wäre diese Schlußfolgerung wohl zulässig; nicht aber, wenn es sich um die Rentabilität der verschiedenen culturellen Leistungen in dem einen und in dem andern Falle handelt. Dann, scheint mir, kommt es lediglich auf das Verhältniß an, in welchem der Ertrag derselben zu den dabei aufgewandten Productionskräften an Capital, Arbeitskraft und Intelligenz steht. Da die Umsätze annähernd gleich sind, mögen auch die Beträge des aufgewandten Kapitals als gleich betrachtet werden; den Handelsgewinn auf diesen Umsätzen aber habe ich für Indien auf 19 und 39 für Australien auf 17 und 28 ^ berechnet. (Vergl. Uebers. Politik xaA. 206 und 198). Noch größer ist ferner der Unterschied der aufgewandten Arbeitskraft und Intelligenz der Nation. In Brittisch-Jndien leben und wirken nur einige Hunderttausend Britten, in den brittischen Colonien aber über 8 Millionen. *) Vergl. „Ueberseeische Politik" xaA. 254.