Unsere Volkserziehung und die Socialdemokratie. 57 Hamburg und Bremen, mit ihrer kaufmännischen Intelligenz, ihrem Unternehmungsgeiste, ihrer Tüchtigkeit zur See und ihren ausgebreiteten überseeischen Beziehungen die Ähnlichkeit des brittischen National- charaklers uns in anziehender Weise gleichfalls entgegentritt."*) Aber noch in directerem Maße ist ein erweitertes Feld nationaler Bethätigung gegenwärtig für Deutschland ein dringendes Bedürfniß. Die sämmtlichen Kräfte unserer Volkswirthschaft kranken an der räumlichen Beschränktheit unseres Wirthschaftslebens. Bei uns handelt es sich nicht, wie bei unfern westlichen Nachbarvölkern nur gelegentlich um akute Absatzkrisen, unsere nationale Production leidet vielmehr chronisch an der Vollblütigkeit ihrer Säfte und Kräfte. Alle Classen unserer Bevölkerung, die kopfarbeitenden so gut wie die handarbeitenden, und nicht weniger unser Capital, suchen vergeblich nach befriedigender und rentabler Verwendung innerhalb unseres heimischen Wirthschafts- gebietes. Vieles, was zur Verbesserung der Lage unserer Industrie und unseres Handels geschehen konnte, ist geschehen und in mancher Hinsicht auch durchaus nicht ohne Erfolg. Dabei haben wir Schulen über Schulen angelegt, und die Vervollkommnung unseres Erziehungs wesens ist sehr vortrefflich und human. Aber hat die große Masse unseres Volkes wesentlich dadurch gewonnen? Ist anzunehmen, daß unser Volksleben überhaupt dabei gewinnen wird? — Ich hoffe es, ich glaube es auch; aber freilich sieht man von den guten Früchten dieser Pflanzstätten der Cultur jetzt noch recht wenig. Diejenigen Früchte, welche uns bisher von diesem Baume der Erkenntniß herab gefallen sind, waren in der That sehr bitter, Arbeitslosigkeit, Unzu friedenheit, Zunahme der Verbrechen und die Socialdemokratie. Aber warum haben wir denn gerade diese, und so wenig andere Früchte gesehen? Ist dies etwa eine Folge der Verbesserung des Schulwesens an sich? Ist etwa die Entwicklung der Culturkräfte als solche ver werflich? — Gewiß nicht! Nur ein niedrig gesinnter Mensch wird dieses denken oder gar verfechten. Nein, es fehlt vielmehr nur diesen Culturkräften an dem wirthschastlichen Boden, auf welchem sie Wurzel schlagen, wachsen und gedeihen können. Daher diese Mißgeburten! In England **) und in Holland zeigen sich doch dergleichen Er- *) Vergl. vr. Friedrich Fabri „Bedarf Deutschland Colonien?" (Gotha, 1879) paA. 40 und 41. Gegen diese Argumentation bemerkte das „Bremer Handelsblatt" in seiner No. 1530 vom 5. Februar 1881: „England verdankt sein bisheriges Befreitsein von der Socialdemokratie seiner alten Gewöhnung an Freiheit und Selbstverwaltung, welche auch die industriellen Arbeiter zeitig zu beharrlicher mannhafter Selbsthülfe in Gewerkvereinen, Genossenschaften und Hülfscaffen greifen ließen." — Gewiß,