20 Ein blasser Patriotismus und ein schwacher Trost. Existenz, indem er dieselbe von einer langen Reihe großer „Ahnen" herleitet, und indem er über die theilweise etwas blamable Rolle, welche einige dieser Vorfahren zeitweilig gespielt haben, mit ungenirtem Idealismus hinwegsieht. Sich selbst aber hält er für den letzten großen Sprößling dieses edlen Stammes; er glaubt nicht an die Thatkraft seiner Söhne, nicht an die Zukunft seiner Enkel. In seiner innersten Seele nagt unaufhörlich der Zweifel, ob seine Kindeskinder dieses künstlich errichtete Haus noch besitzen werden, ob sie das in seiner wirthschaftlichen Existenz verkümmerte Erbe sich noch werden wieder ganz und neu zu eigen machen können. Der einzige Trost, mit welchem dabei diese resignirenden „Patrioten" sich einigermaßen beruhigen, ist der Gedanke, daß unsere Nationalität ja doch wohl noch an hundert Jahre so wie jetzt fortbestehen könne, und dann daß anders geartete Enkel in unserm Vaterlande wohnen werden, denen es weniger Herzeleid als uns machen wird, von jenem großen Wirthschaftsgetriebe der englisch redenden Welt aufgesogen zu werden. Auch wird ja diese Weltwirthschaft jedenfalls wie bisher durch die Aufnahme deutscher Culturelemente nur gewinnen, und — „schließlich werden ja auch unsere Enkel nicht dabei verlieren!" *) Natürlich glauben diese „Patrioten" selbst nicht recht an solche Gleichgültigkeit und Bedeutungslosigkeit einer eigenen, selbstständigen Nationalität unseres Volkes. Denn es liegt doch auf der Hand, daß wir oder vielmehr „unsere Enkel" durch eine Erhebung ihrer Natio nalität zu gleich hoher cultureller Bedeutung wie die des englischen Stammes wesentlich mehr gewinnen würden als durch ihre Anglisirung! Wenn sie dann auch ganz mit Leib und Seele englisch sein wollten, wird man sie wohl voll als Engländer oder „Angelsachsen" anerkennen? Wird man nicht, gerade so wie man heute unter den Britten sehr weit und scharf den IriZbinuu von dem LirMstimun unterscheidet, alsdann auch den anglisirten Deutschen nur als einen Angelsachsen zweiten oder *) Ich verweise hier nur beispielsweise auf die Zeitschrift „Im neuen Reich" Januar 1880 867: „Sollen wir in England und Amerika aufgehen, nun, es wird sich dann auch so leben lassen." — Ganz so unverholen findet sich diese Stim mung in der deutschen Presse allerdings nur seltener ausgesprochen. Aber wer auch nicht gerade sehr oft Gelegenheit hatte, den unumwundenen Ausdruck solcher Gedanken persönlich zu belauschen, der wird immerhin im Stande sein, aus That- sachcn und aus dem Verhalten mancher tonangebenden Kreise unseres deutschen Volkes auf diese mehr oder weniger bewußte Anschauungsweise unserer Verhältnisse zu schließen. Sie ist die einzige zureichende Erklärung vieler sonst unbegreiflichen Er scheinungen in deutschen Landen.