8 Die Altersschwäche unserer jetzigen Parteien. die streitenden Parteien selbst aufzulösen. Unser inneres politisches Leben zeigt immer deutlicher Symptome des Marasmus; die Kraft des Schaffens und Gestaltens beginnt merklich zu erlahmen; selbst der Kampf der Gegenströmung und Rückströmung, welcher sonst recht eigentlich das politische Leben stärkt und nährt, scheint jetzt nur die Zersetzung der Parteien zu fördern. Beständig mehrt sich die Zahl der politischen Fractionen und Gruppen; Conservative sowie liberale Principien gehen mehr und mehr einer Zersplitterung entgegen; in immer subtileren Gegensätzen werden die verschiedenen Ziele präcisirt und specialisirt; immer feiner werden die Nüancen, welche eine Partei von der anderen unterscheiden, und wir finden heute zwischen den Extremen des Reaktionärs nnd des Radikalen eine fast ununter brochene Reihe von Parteischattirungen. Immer weiter gehen dabei diese Extreme aus einander; immer unversöhnlicher erscheinen selbst die geringsten Gegensätze; immer unklarer werden die Mittel nnd Wege; immer schwüler wird die Lebenslust innerhalb dieses Gährungs- processes. Wenn unsere kulturellen Verhältnisse sich ausschließlich auf dieser gegenwärtigen Basis fortentwickeln sollten, so wäre zu vermuthen, daß unser gesummtes politisches Leben sich unaufhaltsam desorganisiren und zuletzt völlig auflösen würde. Nur eine neue große Idee, ein weiterer größerer Horizont, ein ferneres größeres Ziel können unser nationales Leben vor solchem Zerfall retten, können ein kräftiges Wachs thum unserer Nationalität ermöglichen und können unsere nationale Kul tur von der Höhe der Gegenwart einst auf die Höhe der Zukunst erheben. Das jetzt unter uns heranreifende Geschlecht jugendlicher Geister hat diese Leistung zu vollbringen; von dieser „kommenden Generation" allein ist die Erfassung dieser Aufgabe zu erwarten; und sie wird dieselbe lösen. Bei allen Culturvölkern, welche je zu einer dauernd tonangebenden Stellung im Kreise der Civilisation gelangt sind, war es stets nur die äußere Cultur-Entwicklung der Nationen, welche ihrer inneren Entfaltung höhertragende Lebenskraft gab. Ja nicht allein dieses: Ganz dasselbe Gesetz durchdringt alles organische Leben in der Natur sogut wie in der Cultur. Dort, in der natürlichen, räumlich- körperlichen Welt, stellt sich die innere Entfaltung der Typen (Gattungsformen) als eine in die Höhe strebende, die äußere Ent faltung derselben als eine in die Breite gehende Entwicklung dar. In jeder normalen Gestaltung folgt der Höhenentwicklung allemal auch die Breitenentwicklung*), und nur wenn beide gleichzeitig mit ") Vergl. über diese technischen Ausdrücke u. a. vr. Georg Gerl and „Anthropologische Beiträge" (Halle 1875, Max Niemeyer) xag. 60 ff.