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Der Liberalismus und die kommende Generation. 5 keimt. Diese kommende Generation ist als solche weder dem Con- servatismus noch dem Liberalismus Feind, weil eben die Ziele ihres Strebens in der ganz anderen Sphäre liegen, in welcher sie heranwuchs. Sie wird jenes ältere Geschlecht, ihre geistigen Väter, achten und ehren, wie auch ein Sohn seinen leiblichen Vater ehren soll. Sie wird nicht das ernste Streben unterschätzen, welches die vergangenen Jahrzehnte unseres nationalen Lebens erfüllt hat, und sie erkennt sehr wohl auch die Resultate an, welche durch den nationalen Gemeinsinn jenes alternden Geschlechtes erzielt worden sind; aber sie strebt hinaus über diese Ziele, diese Resultate. Nur mit Unrecht hat unsre liberale Presse mehrfach die heutige Jugend Deutschlands „reaktionär" genannt. In sofern der Liberalismus als der in den letzten Jahrzehnten am meisten hervorstechende Typus jenes Geschlechts erscheint, tritt allerdings die jüngere Generation speciell in Gegensatz zu diesem Typus. Dieser Gegensatz wird stark empfunden, ist jedoch darum noch kein feindlicher; denn das kommende Geschlecht strebt nur eine normale organische Fortentwicklung an. Daß dabei aber das Bewußtsein eines Gegensatzes sich vorwiegend bei den liberalen Parteien geltend macht, ist leicht erklärlich. Es liegt in der menschlichen Natur begründet, daß sie an denjenigen Zielen und Errungenschaften, welche sie selbst erstrebt, erkämpft und erarbeitet hat, zäher festhält, als an denen früherer oder späterer Generationen und auch geneigt ist, jene für wichtiger zu halten als diese. Während so die Väter sich leicht veranlaßt sehen, die Interessen und das Urtheil der Sohne zu unterschätzen, haben diese in Wirklichkeit einen großen Vortheil vor jenen voraus durch die Objektivität ihrer unbefangenen Anschauung derjenigen Verhältnisse, welche für sie Vergangenheit sind, für die Väter aber Gegenwart waren. Ferner ist es naturgemäß, daß jede kulturelle Bewegung zuletzt über ihr Ziel hinausgeht. Kein geistiges Streben ist unfehlbar, keine menschliche Existenz ist absolut, alle Begriffe sind relativ und setzen sich nur aus ihren Verhältnissen zu einander zusammen. Was man „richtig" oder „normal" nennt, ist nur die gerade Mittellinie, um welche jezeitig die verschiedenen Richtungen menschlicher Bestrebungen sich wie Pendelschwingungen nach rechts und nach links bewegen. Jede neu entstehende Bewegung, jede sich entwickelnde Existenz, opponirt zuerst und am schärfsten gegen diejenigen Uebelstände, unter denen sie ihre bisherige Entwicklung hat leiden sehen, und die sie deshalb für ganz besonders nachtheilig hält. Durch solches Wirken und Gegenwirken eben bildet sich erst die „Normalität" einer organischen Entwicklung. Das jetzt alternde