98 Unbeschränkter Raum für 40 Millionen Proletarier?! jedem kleinen Luftzuge immer von Neuem Ach! und Weh! schreien. Zu Gunsten ihrer Altersschwäche wird das junge Leben der Nation erstickt! Wie thöricht erscheint doch dem gegenüber die schöne Phrase, mit welcher der volkswirthschaftliche Congreß in den Resolutionen zu Herrn vr. Kapps Referat sein Gewissen über diese traurige Sach lage zu beruhigen suchte (puA. 110). „Durch Gewährung eines möglichst unbeschränkten Raumes für die Entfaltung der geistigen und wirthschaftlichen Kräfte des Einzelnen muß diesem das Vaterland lieb und theuer gemacht werden." Dieser gute Rath klingt wirklich sehr schön, und ist, wenn auch nicht gerade neu, so doch gewiß vortrefflich gemeint! Wenn nur Herr Dr. Kapp uns gleich dazu ausgerechnet hätte, wo und wie denn solcher „unbeschränkte Raum" für die ca. 40 Millionen Proletarier und ihren sich in ungeheuren Proportionen mehrenden „Kindersegen" in unserm kleinen, nicht über-fruchtbaren und wenig günstig gelegenen Lande gefunden werden soll. Es ist freilich zu vermuthen, daß sich in kommenden Zeiten die Prvductivität der europäischen Völker noch wesentlich heben wird, und daß auch auf dem beschränkten Boden Deutschlands eine größere Bevölkerung als jetzt ihr Auskommen wird finden können; bei unserem gegenwärtigen Volkszuwachse aber würden in 100 Jahren (ohne Auswanderung) 290 bis 300 Millionen Menschen im deutschen Reiche und in Deutsch-Oesterreich vorhanden sein, und die Zuwachsrate unserer Bevölkerung ist sogar gegenwärtig noch sehr beträchtlich im Steigen *). Jetzt leben in Deutschland und Deutsch-Oester- reich zusammen etwa 67 Millionen Menschen. Die Zahl der Bevölkerung, welche im nächsten Jahrhundert auf demselben Boden vielleicht leben könnte, schätzte ich oben auf höchstens 100 Millionen; die übrigen 200 Millionen müssen auswandern. Die Möglichkeit dieser angegebenen Volksdichtigkeit wäre denkbarer Weise bei unserer einseitig intensiven Entwicklung durch weitere technische Fortschritte sowie durch verbesserte und erweiterte Organisation unserer Productionsmittel wohl zu er reichen. Aber darauf, daß wir so und so viele Millionen Proletarier mehr, halb verhungernd und verkommend, zwischen Leben und Sterben bei uns eine unglückliche Heimath schaffen, darauf kommt es ja auch Herrn vr. Kapp nicht an, sondern darauf, daß wir den Wohlstand