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96 Die Socialdemvkratie und das Duken vor dem Landrath. hältnissen äußerer Organisation gerade in Deutschland das Urtheil des Einzelnen relativ am wenigsten geneigt sich zu duken. Ich erinnere nur beispielsweise an Martin Luther. Und ich denke diese Ab neigung gegen das Sich-duke» zeigt sich wahrlich heutzutage bei uns krasser denn je! Was anders ist es denn als dieses Streben nach Selbstständigkeit, was in dem Chaos unserer politischen Parteien besonders die „systematische Opposition" zur Geltung gebracht hat und sie noch täglich wachsen macht?!*) Doch auch hier könnte Herr vr. Kapp einwenden, dies Alles seien Erscheinungen im wohl situirten Bürgerthume, in Gesellschaftsclassen, die durchaus nicht für den Typus der deutschen Auswanderer maßgebend seien. Wohlan denn, steigen wir hinab in die unteren Volksschichten, aus welchen die große Maste unserer Auswanderer stammt und auch fernerhin wohl stammen wird! — Ist der Socialdemokrat etwa der Typus jenes „deutschen Ansiedlers", der sich vor dem ersten, besten Landrath duckt, dem es unmöglich ist, einmal fünf gerade sein zu lasten, und der sich nicht sollte zu helfen wissen, wenn er eine Zeitlang mit zweifelhaftem Gesindel in einen Hexenkessel zusammengeworfen wird?! Diesen Millionen arbeitsfähigen deutschen Männern und Frauen, die heut mehr als je ihren verzweifelten Ideen nachbrüten, erscheint nur deshalb die Hoffnung auf eine sociale Revolution der einzige Trost in ihrem langsamen Verhungern und Verkommen, weil sie bisher, ebenso wenig wie Herr vr. Kapp, im Stande sind, einen extensiven Cultur-Aufschwung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse für möglich zu halten. Daß diese socialistischen, aber doch zugleich specifisch deutschen Volkselemente bisher nicht besonders zu einer planlosen Aus wanderung im Sinne des Herrn Or. Kapp geneigt sind, das ist nicht nur sehr natürlich, sondern ist gerade das beste Zeichen ihrer brauch baren Starrköpfigkeit, welche sie sowohl geeignet wie gewillt machen wird, deutsch zu colonisiren, d. h. in überseeischen Ländern neues deutsches Leben und deutsches Wesen, deutsche Cultur und deutsche Staaten erstehen zu lassen, wie sie es zum Theil heutzutage schon in Treffend wies auch schon Herr Gen.-Secretär Annecke in den kurzen, energischen Worten, die es ihm gestattet wurde, dem Herrn vr. Kapp in jener volkswirthschaftlichen Sitzung zu entgegnen, darauf hin, daß der Anfang der brittischen Colonisation mit ganz ähnlichen Elementen geschah, wie mit denen, welche sich heute bei uns durch aristokratischen oder religiösen Zwang bedrückt fühlen: „William Penn und seine Genossen. Diese gemaßregelten Bürger wurden auch, als sie auf sich selbst angewiesen waren, freie Menschen; sie freuten sich ihres Daseins und ließen sich von den Einrichtungen ihres Mutterlandes außerordentlich wenig mehr beeinflussen." lVergl. die Verhandlungen des 19. Congr. xsA. 144.)