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94 vr. Kapps plötzliches Verzweifeln an der deutschen Tüchtigkeit. zweifeln, mag er sich erdrückt fühlen von dem Bewußtfein, daß unfere Nachbarvölker uns noch immer sehr weit an kultureller Bedeutung voraus sind, mag er glauben, daß unsere politische Nationalität sich auch fernerhin in der außereuropäischen Welt ihrer Unbedeutendheit wird schämen müssen: wir wollen trotzdem danach streben aus unserem deutschen Volke eine Nation zu machen, die sich ihrer Existenz in keinem Theile der Welt zu schämen haben wird, und die eine tonangebende Stellung im weitesten Kreise der Civilisation ein nehmen soll. Aus jenem schwächlich verzagten Zweifeln an unserer eigenen Nationalität erklärt sich auch die bis zur Unbegreiflichkeit schwache Beantwortung seiner dritten Frage nach der Möglichkeit deutscher Colonisation: Durch Wen soll diese Leistung vollbracht werden? Herr vr. Kapp meint, „der deutsche Auswanderer sei ein vor trefflicher Ansiedler, aber kein guter Colonist"; der Deutsche könne nicht selbstständig colonisiren, sondern nur im Gefolge und in den mehr oder weniger ausgesahrenen Geleisen einer fremden Nationalität; die deutsche Nationalität könne niemals stark genug werden, um sich in überseeischen Ländern selbstständig zu erhalten. Nach seiner Meinung gehören zu solchem selbstständigen Colonisiren Eigenschaften, die im deutschen Volke nicht vorhanden seien. „Zu einem guten Colonisten gehört vor Allem ein Mann, der auch den Regierenden selbstbewußt gegenüber tritt, der nicht blos gehorcht, sondern auch befiehlt und be fehlen kann, der stets furchtlos für seine Sache eintritt, aber sich nicht vor jedem beliebigen Amtmann oder Landrath duckt. — Wenn man colonisiren will, dann muß man oft 5 gerade sein lassen. — In einer Colonie stellt sich der niederträchtigste, schlechteste Schurke neben den anständigsten Mann, das sogenannte verbummelte Genie, der Schiff brüchige, der seinen Beruf verfehlt hat, neben den ehrlichen, von den besten Absichten beseelten Neuling. Leichtsinn und Bosheit, Laster und Verbrechen treffen namentlich in einer neuen Colonie mit gutem Willen und ehrlichem Streben zusammen, und alle diese Bestandtheile einer erst werdenden Gesellschaft unternehmen gemeinschaftlich den Wettlauf nach dem Glück."*) *) Vergl. vr. Kapp's Referat, l. e. xag. 127, 129, 130 und 131. Man traut seinen Augen und Ohren kaum, wenn man gerade diese Begabung zum Colonisiren dem deutschen Volke von einem Manne absprechen hört und sieht, der noch vor wenigen Jahren den Satz ausstellte: „Ein Rückblick in das Leben unseres Volkes lehrt uns. daß Deutschland während seiner bürgerlichen Blüte die größte colonisirende