88 Die angelsächsischen Maximen der Colonialtechnik. durch nichts gerechtfertigter „Anachronismus". Herr vr. Kapp malte da eine Kolonie nach dem Muster der Begriffe des 18. Jahrhunderts. Wo sind denn aber Grund und Veranlassung zu glauben, daß wenn Deutschland heutzutage ein überseeisches Land colonisiren will, daß es dies dann nicht nach den reifsten Anschauungen des 19. Jahrhunderts thun wird?! Meint Herr vr. Kapp etwa, daß wir im künftigen Jahrhundert unsere Preßfreiheit eingebüßt haben werden, oder daß in der kommenden Generation die öffentliche Meinung keine Macht mehr haben wird?! Sollte selbst das Undenkbare geschehen, daß unsere preußisch-deutsche Regierung danach streben wollte, überwundene, un praktische und unhaltbare Zustände herzustellen, so würde doch jedenfalls irgend welche Dauer solches Systems durch deutsche Wissenschaft und deutsches Volksleben vereint unmöglich gemacht werden. Ueber das Wie? der Kolonisation würde, falls wir deutschen Kolonialbesitz hätten, schwerlich verschiedene Ansichten gelten können, da die Erfahrung bereits hinlänglich gelehrt hat, welche Richtung die besten Erfolge sichert. Ein historischer Ueberblick über die „angel sächsische" Kolonisation in den brittischen Kolonien und in den Ver einigten Staaten von 1830 bis 1880 würde nahezu vollständig die heutigen Kenntnisse und Erfahrungen der Colonialtechnik darstellen; dazu würden einige Seitenblicke auf andere Länder und kurze Rückblicke in die Vergangenheit genügen, um eine systematische Darstellung und Begründung der fortan im Colonisationswesen festzuhaltenden Maximen und weiter zu verfolgenden Richtungen zu gewinnen. Sehr treffend schilderte Herr vr. Kapp in seinem Referate Das, was unsere deutschen Auswanderer im Auslande suchen, und die be rechtigten Gründe, warum sie von der Heimath fortziehen. Wenn wir so diesen geistigen Kausalzusammenhang unserer Massenauswanderung durchschauen und die Gegensätze der culturellen Verhältnisse hüben und drüben hinreichend kennen, so ist es um so eher sicher und selbst verständlich, daß wir unseren Auswanderern in deutschen Kolonien alle ihre rationellen Bedürfnisse zu befriedigen, und zwar in besserer und vollständigerer Weise zu befriedigen streben werden, als ihnen dies in fremden Wirthschastsgebieten zu Theil werden kann, und ohne un- nöthiger Weise Uebelstände von hier dorthin zu übertragen. Was in aller Welt berechtigt denn Herrn vr. Kapp zu der Vermuthung, man habe nicht das Wohl unserer Auswanderer im Auge, man wolle ihnen ein Joch auferlegen oder sie gar ausbeuten?! Freilich das anarchische Gelüste mancher Auswanderer nach einer rein „privatmenschlichen" Existenz und nach einem völligen Befreitsein von aller staatlichen