354 Geologie und Poesie. Wo der Ball die Lufthülle berührt, theilweise vom Wasser umspült, da ist der Wechsel und die Mannigfaltigkeit der Dinge und der Zustände am grössten. Hier herrscht ein steter lebhafter Kampf der Natur mit sich selbst. Jedes Wesen kämpft um seine Existenz, und ist darum bestrebt, andere zu vernichten. Der Fels vertheidigt sich gegen die Woge, die Wärme besiegt das Wasser, die Pflanze drängt sich in den Boden, das Thier lebt von seiner Umgehung; der Mensch schreitet vorwärts auf der Bahn der Entwickelung, indem er die übrige Natur durch „ihre eigenen Gesetze besiegt und sich unterthan macht. Was diesem steten Kampfe nicht gewachsen ist, das geht unter, was ihn besteht, entwickelt sich weiter, und dieses Schicksal trifft eben so wohl ganze Geschlechter als einzelne Individuen. Nach innen und nach aussen von jener Zone des vor herrschenden Lehens, d. h. von der Erdoberfläche gegen die äussere Grenze der Lufthülle wiegegen das Centrum des Planeten, nimmt die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, die Vielseitigkeit des Kampfes stetig ah. Wenn wir im weitesten Sinne alle Bewegung als eine Lebensäusserung bezeichnen dürfen, so unterscheidet sich davon freilich das organische Leben als ein ganz besonderes, dessen Gesetze erst sehr unvollständig bekannt sind, — und im organischen wieder das geistige Leben. Braucht man zu dem Allen noch übernatürliche Vorstel lungen und geologische Fabeln, um das Studium der Erde mit poetischen Reizen auszustatten ? genügt dazu nicht die einfache Wahrheit, in so weit wir sie erfassen können? Die trefflichen Bilder vorweltlicher Zustände, die zuerst Franz Unger entwarf, und die seitdem so vielfach nachge ahmt wurden, sind sie nicht wahre Blüthen echt wissenschaft licher Poesie ? Anderer Art ist freilich die Poesie der neuen Naturfor schung als jene der alten. Sie verhält sich zu ihr etwa wie die Dichtungen Schiller’s und Goethe’s zu den Gesängen Homer’s und zum Nibelungenlied; selbst Shakespeare ver wendete noch Hexen und Geister. Statt der Götter, Riesen