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O 1086 Gesprächen und bei sonstigen zufälligen Gelegenheiten; schulgerecht lernt er die Wirthschaft-welt eigentlich nicht kennen. Darin ist denn auch der Grund zu suchen, warum der junge Kaufmann so wenig im Stande ist, die wirthschaftlichen Vorgänge um sich her auf die entscheidenden Gesetze der Nationalökonomie zurückzuführen und seine Ansichten zu corrigiren. Die Nationalökonomie selber bleibt ihm oft selbst dem Namen nach unbekannt oder sie erscheint ihm doch in dem Lichte eine- unpraktischen gelehrten Wissens. Im besten Falle erwirbt er sich Routine, die jedoch nur so lange vorhält, al- die gewohnten Verhältnisse, au- denen sie entnommen ist, die nämlichen bleiben. Für die geistige Beherrschung außer ordentlicher Ereignisse reicht die bloße Routine sicher nicht hin. Gellertstistung. In einer Zeit, da die Sonderinteressen Einzelner wie auf poli tischem so auf kirchlichem Boden so bestimmt den Interessen grö ßerer Gemeinschaften nachgeseht werden, gereicht e- zu großer Freude, auch in unserer für da- allgemeine Wohl stet- freudig eintretenden Stadt auf einen Verein aufmerksam machen zu können, der zwar von einem einzelnen, unserer Stadt lieben und theuern Manne, unserm hochverdienten Gellert, sein Schild und seine Aufschrift entlehnt hat, der aber trotzdem wie Gellert und in Gellert- kindlich christlichem Geiste allgemeinere Zwecke, Zwecke christlicher DolkS- wohlfahrt und Volkserziehung im Sinn und Auae hat. Wer unter unS, der es erkennt, wie die Sittlichkeit eine- Volke- die erste und letzte Grundbedingung seiner wahren Kraft und seine- wahren Halte- und Heile- ist, sollte nicht freudig seine Hand und in der Haud sein Scherflein darreichen, um eine Anstalt in- Leben zu rufen, die nichts Geringeres will al- Menschenseelen, die in Ge fahr sind sittlich zu versinken, vor solchem Falle zu bewahren, und noch, ehe e- oft zu spat ist, zu sammeln und zu festigen! Schön ist eS, daß die christliche Liebe Rettung-Häuser und Pestalozzistifte errichtet hat, um Verwahrloste und Verkommene durch geeignete Zucht zu bessern, aber noch schöner und um Viele- heilsamer würde eS sein, drohendem Verderben rechtzeitig vorzubeugen und wahrschein lichen Fall zu verhüten. Wie müßte eine solche Fürsorge, je all gemeiner sie würde, desto bestimmter dazu beitragen, daß die düstern Zellen der Gefängnisse, der Strafanstalten und Zuchthäuser mit den Jahren leerer und leerer würden, da eS in der That Wahr heit und Erfahrung ist, daß Viele dorthin kommen, weil sie im Leben kein Herz fanden, da- sich lehrend und mahnend, warnend und abwehrend ihrer angenommen hätte! Diesen Gedanken ver folgt die Gellertstiftung und durch denselben unterscheidet sie sich von den bestehenden Anstalten ähnlicher Art. Doch lassen wir sie selbst reden nach dem »Aufruf", den sie erlassen hat. * * ch Unter allen großen Männern Deutschland- dürften wohl wenige gefunden werden, die im Leben eine so allgemeine Verehrung und Liebe von allen Parteien und Ständen genossen, und nach ihrem Abscheiden so laut und allgemein beklagt worden wären, als Christian Fürchtegott Gellert. Von den Thronen bi- zur ärmsten Hütte herab wurde er geliebt, er, eine Zierde Deutsch lands. Und noch heute sind seine christlich frommen Lieder ein großer Segen seinem Volke. Deutschland ist nicht unerkenntlich gegen seine großen Männer. Namentlich geht durch die Gegenwart ein sichtbarer Wetteifer, alte Schuld abzutragen. Sollte eS, wenn irgend Jemand, nicht auch Gellert werth sein, daß ihm seine Nation ein würdige- Denk mal erbaue? — Gewiß, einer Anregung nur wird e- bedürfen, und, so weit die deutsche Zunge klingt, wird sich Niemand, der je durch feine Lieder erbaut worden ist, davon au-schließen. Welcher Ott aber könnte dazu geeigneter sein, al- — sein »liebes Leipzig", wie er selbst eS nannte! Hier lebte er im Dienste der Menschheit sein reiche- Leben, hier ruhen seine Gebeine im stillen Grabe, da- dankbare Liebe noch alljährlich mit Blumen bekränzt. Und fragen wir: Welcher Art soll diese- Denkmal sein? Nun, so mag er selbst die Entscheidung geben. Sein ganze- Leben giebt uns darauf die rechte Antwort. Denn wenn seine gesammte Lebensarbeit der Erweckung eine- lebendigen ChrlstenthumS, und zwar vorzugsweise bei der Jugend galt: — so darf auch sein Denkmal unmöglich ein tobte-, eS muß ein lebendige- sein, nicht au- Erz oder Stein, nein, ein Denkmal im Geiste christlich frommer Liebe. Und fürwahr, hier thut sich uns ein weite- Feld auf. Wie viel Tausende junger Seelen gehen noch in deutschen Landen darum verloren, weil die erbarmende Liebe fehlt, weil noch lange nicht die Stätten au-reichen, wo solche dem sittlichen Untergange unaus bleiblich Entgegengehrnde eine schützende und rettende Zuflucht finden! Darum, zum Andenken unsere- seligen, hochverdienten Gellert, schlagen wir vor, unter dem Namen einer »Gellertstiftung" mit Gotte- Hülfe eine Anstalt zu gründen nach dem Dorbilde be rauben Haufe-" bei Hamburg, wo wir arme verlassene Kinder, dir sichtbar dem sittlichen Verderben entgegengehen, liebreich auf nehmen und einem treuen Vater r und Mutterherzen zur Pflege anvettrauen. Gerade diese Aufgabe, vor gewissem Verderben zu bewahren, halten wir de-halb für besonder- wichtig, weil sie anerkannt leichter und wirksamer ist, als diejenige, bereit- Verdorbene und Unter gegangene dem Verderben wieder zu entreißen, welche- die große Aufgabe der sogenannten Rettung-Häuser bleibt. In diesem Sinne soll unsere Gellertstiftung keine Ott-anstalt, auch keine sächsische sein, sondern soll — wie Gellert selbst ^ dem ganzen deutschen Vaterlande angehören. Innerhalb desselben kennt sie bei der Aufnahme ihrer Zöglinge keine scheidenden Lan- de-gränzen. Und so zögern wir nicht, nachdem sich der hier bestehende Er- ziehung-verein, der einen gleichen Zweck verfolgte, mit un« ver bunden hat, vertrauensvoll unser Vorhaben der Oeffentlichkeit zu übergeben. Die Liebe treibt un- und macht un- kühn. All Ihr deutschen Herzen, die Ihr dem Evangelio Christi wahrhaft zuge- than, die Ihr eS wisset, wie hoch vor Gott eine Seele geachtet, und wie wichtig es ist, junge Seelen vor drohendem Untergange zu bewahren, o verschließt Euch unserm Bitten nicht, wir klopfen an nicht in unserm, sondern in Gotte- Namen. E- segne der HErr unser Bitten, unser Werk, Eure Gaben! Gebet mit fröh lichem Sinne, ein Jeglicher sein Scherflein nach seinem Ver mögen, denn Ihr gebet für Gotte- Reich; und wa- geschrieben steht Jac. 5. 19. 20., da- möge im Aufblick zur Ewigkeit auch Euer Lohn und Eure Verheißung sein! „Da ruft, o möchte Gott et geben! — Vielleicht auch mir ein Sel'ger ru: Heil sei dir, denn du hast da- Leben, Die Seele mir gerettet, du! O Gott, wie muß das Glück erfreun, Der Retter einer Seele sein!" Sämmtliche Unterzeichnete, und insbesondere in Leipzig die Geschäft-locale von Gustav RuS, Grimma'sche Straße Nr. 10 und Ernst Bredt, Bosenstraße Nr. 4 sind bereit, Beiträge für diesen Zweck entgegen zu nehmen. Zugleich empfehlen wir da- bisher vom Erziehung-Verein her- au-gegebene, fortan im Interesse der Gellertstiftung erscheinende Bilderbuch — vorräthig bei Ernst Bredt — der wohlwollenden Theilnahme de- Publicum-. ' > Alle geehrten Redactionen öffentlicher Blätter aber ersuchen wir ergebenst, diesen Aufruf in ihre Spalten gütigst aufzunehmen, und Sich der Empfangnahme und Weiterbeförderung von Bei trägen freundlich zu unterziehen, um welche- Letztere wir auch zum Gelingen der guten Sache die Herren Geistlichen und Lehrer in Stadt und Land recht angelegentlich gebeten haben wollen. Leipzig, am Geburtstage Gellert-, den 4. Juli 1860. Der Verein zur SeUerlstistung. v. Wille, Archidiak. zu St. Thomä, Vorsitzender, Ernst Bredt, Cassirer, Domherr, Professor O. Schilling Oberpostmeister Röntsch Gustav Rus M. G. Böttger Oberhofprediger v. Liebner^in Dresden. RegierungSrath Freiherr von Wirsing in Zwickau. General-Superintendent v Hoffmann in Berlin. Pastor prim. v. Mallet in Bremen. Graf von Egloffstein auf Schwusen. Superintendent Bauer feind in Lützen. General-Superintendent v. Moll in Königsberg, v. Kramer, Director der Francke'schen Stiftungen in Halle. Luc Tageschronik. Leipzig, den 12. März. Al- der gestrige Abendzug der Leipzig-Magdeburger Bahn auf dem hiesigen Bahnhofe ange kommen war, vermißte man den auf dem Zuge gewesenen Schaffner Bretschneidir; den Mantel desselben fand man zwischen den Wagen hängen, an dem Wagen, auf welchem Br. gesessen hatte, waren Blutspuren zu bemerken. Da sonach zu vermuthen war, daß der Vermißte verunglückt sei, wurde sofort eine Locomotive zur Aufsuchung desselben abgeschickt. Auf der Bahnstrecke zwischen Wahren und Lützschena fand man den Leichnam Br. in ganz zerstümmelten Zustande auf der Bahn liegen; jedenfalls war Br. auf seinem Sitze eingefchlafen gewesen und in Folge dessen von dem Auge heruntergefallen. Sein Leichnam wurde in da- Jacobs- Hospital gebracht. Verschiedenes. * Die Freunde der Natur mögen hiermit auf eine Merk würdigkeit aufmerksam gemacht sein, die in einer von Blitz ge troffenen Eiche unweit Leipzig- besteht und wiederum zeigt, daß keine Regel ohne Au-nahme ist. Der Baum ist nämlich nicht, wie e- gewöhnlich geschieht, zerschmettert und gespalten, sondern