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3S und nimmermehr der Reüe zugänglich werde» wird, in da- Auge, das vielleicht nie eine Thräne vergossen, manchen Blick thun lassen, der außer mir Niemand verstauet war. Er hielt mich, den schlich ten, anspruchslosen Mann für minder gefährlich, vielleicht daß er auch sonst eine Neigung für mich fühlte, wmn anders bei Na turen wie die Schrödersche von derlei die Rede sein kann. Ich habe bei dem ersten Zusammentreffen mit ihm die volle moralische Ueberzeugung nicht nur von seiner Schuld, sondern auch davon gewonnen, daß er bei Weitem der gefährlichste Verbrecher unter der großen Zahl seiner Mitgefangenen ist. Er hat sich in dm vielen Jahrm so viel Geld erspart, um nach Amerika zu sei nen dorthin übersiedelten Aeltern reisen zu könnm und, so viel mir bekannt, unter Anführung diese- Umstande- auf Begnadigung angetragen. Es erscheint vielleicht auf dm ersten Hinblick hart, wenn auch dieser Umstand nicht berücksichtigt wird. Aber ich meine, daß wir auch unfern tran-atlantischen Brüdern die Pflicht schuldig sind, Gefabren von ihnen fernzuhaken, die sich so leicht vermeiden lassen. Schröder ist noch zu jung, viel zu weit der Zeitpunkt von ihm entfernt, wo — das Ende aller derartigen Ver brecher — moralische wie physische Kraft in ihm so weit gebrochen sein wird, daß er der Gesellschaft nicht mehr schaden kann. Schröder hat, wie vielleicht nicht allgemein bekannt, vor kurzer Zeit der Oberstaatsanwaltschaft gegenüber seine Schuld am WieSke'schen Morde endlich eingestanden. Da- Motiv, das ihn hierbei geleitet, ist offenbar kein andere- gewesen, als das der Verbrecherpolitik. Jedenfalls hat er dabei Reue über die Thal geheuchelt und hofft auf diesem Wege. seine Freilassung au- dem Auchthause zu erzielen. Interessant und für den endlichen Ab schluß der ganzen Geschichte höchst wesentlich wäre es, etwa- Spe- cielles über diese letzten Zugeständnisse Schröders zu erfahren, und ich will schließlich hier den Wunsch ausgesprochen haben, daß dies recht bald geschehen möge. Gl. Thoilbergsstraßenhäusier. Am 23. Decbr. fand in hiesiger Kinderbewahranstalt die Christ bescheerung statt. Die diesjährige Festlichkeit gewann ein beson- dreS Interesse dadurch, als eS das erste Mal war, daß der „hei lige Christ" in die neuen, schön und sehr solid gebauten Räume einzog. Die Kinder, nahe an achtzig, waren, wie früher, so auch diesmal in einem, nahe am Bescheerungssaale befindlichen Zimmer unter Aufsicht ihrer Lehrerin versammelt, umgeben von ihren Ael tern und andern Freunden der Anstalt, unter welchen letzteren sich auch zwei Vorsteher de- Vereins, die Herren Felix und Lohse, so wie mehrere Damen aus dem weiblichen Vorstände befanden. Eingeleitet wurde die Feier von den Kindern durch ein passendes Liedchen, auf welches eine kurze katechetische Unterredung über die Geburt des Heilandes mit eingeflochtenen, dem Gegenstände entsprechenden Gesängen folgte, und worin die Kleinen durch laute und richtige Antworten nicht nur ihrer Lehrerin, Fräul. Grau, ein schönes Zeugniß ihre- Eifers und ihrer Tüchtigkeit ausstellten, sondern sich auch selbst würdig erwiesen, die Herrlichkeiten zu schauen und zu genießen, welche bis jetzt noch ihren Augen ver schlossen waren. Es wendete sich hierauf der Herr Diaconus kl. Lohse in einer längecn Rede an die Aeltern, in welcher er denselben die hohe Bedeutung und Verantwortlichkeit ihrer Pflichten vorhielt und ihr eignes Heil an die Erfüllung derselben knüpfte. Ein Gebet mit herzlichem Danke für alle göttliche und menschliche Hülfe im verflossenen Jahre und herzlicher Bitte für die Zukunft schloß die geistige Feier de- Festes. Es folgte nun der, den Kleinen verständlichere Theil — die Bescheerung, und daß auch diesmal die Anstalt reich gesegnet worden ist, zeigte»ein Blick in den, von einem mächtigen Cbrist- baum erleuchteten, nunmehr geöffneten Saal. Ein jede- Kind bekam reichlich bescheert. Nützliches mit Angenehmen verbunden befriedigten sowohl Aeltern als auch Kinder in sichtlicher Weise, so daß die Letzter« gewiß mit herzlicher Liebe zur Anstalt diese ver lassen haben und mit frischer Lust im neuen Jahre wiederkehren werden. Möge die Anstalt auch fernerhin wachsen und zu den alten Freunden noch recht viele neue gewinnen. Mögen die Gemeinde und Förderer, so wie die Lehrerin nicht müde werden, an einem Werke zu arbeiten, welches schon in seinen Anfängen die sicherste Bürgschaft für sein Gelingen trägt! ' Stadttheater. Am ersten Theaterabend im neuen Jahre erschien ein weniger bekanntes Werk eines der hervorragendsten Dichter Deutschland-, da- vaterländische Schauspiel „die Hermannsschlacht" von Heinrich von Kleist, zum ersten Male auf der Leipziger Bühne. Unsere- Wissen- ist diese- Schauspiel früher ntemal- irgendwo gegeben worden, trotz feine- nationalen Stoff-, da e- in der uffprünglichen äußeren Fassung allerdings nicht ganz bühnengerecht, wohl auch vielleicht absichtlich mehr für die Lectüre, al- für die Darstellung berechnet war. Da- Verdienst, „die Hermannsschlacht" auch für die Bühne brauchbar gemacht zu haben, gebührt Feodor Wehl, dem bekannten talentvollen Schriftsteller und geistreichen Kritiker. Er hat seine große Auf gabe als ein mit den Verhältnissen und der Technik der Bühne vollkommen vertrauter Mann gelöst und somit dem deutschen Repertoir eine wirklich höchst dankenSwerthe Bereicherung ver schafft. In dieser neuen Bearbeitung ward — so weit uns bekannt — die Hermannsschlacht" vor einiger Zeit zuerst beim Breslauer Stadttheater gegeben; da- Dresdner Hoftheater und die Leipziger Bühne brachten sie gleichzeitig am 1. Januar. Da- wieder erstandene Werk bethätwt sowohl bezüglich der Auffassung de- großen gewaltigen Stoffe-, wie in jeder Einzelnheit den Geist eine- Dichter- von Gottes Gnaden. Es ist ein echt deutsche- Werk, da- uns ebenso ergriffen und erschüttert, als angeheimelt hat. Kraft, Anmuth, tiefe Empfindung, köstlicher Humor, edle Gesinnung — kurz Alles, waS die deutsche Poesie zu dem macht, was sie ist, findet man in dem Werke des genialen Kleist ver eint. Daß der Dichter etwas von der Geschichte abweicht und den VaruS von Hermanns Hand fallen läßt, daß er Letzterem in prophetischem Sinne den bekannten AuSruf de- Cäsar AugustuS: „ VaruS, VaruS, gieb mir meine Legionen wieder!" in den Mund legt, sind poetische Licmzen, die hier ihre volle künstlerische Be rechtigung haben; ebensowenig kann man dem Dichter wegen ver schiedener kleinerer Licenzen, Anachronismen re. zürnen, wie z. B. daß er den VaruS von der Hexe von Endor, die der römische Feldherr natürlich gar nicht gekannt haben kann, sprechen läßt. Wenn man nicht wüßte, daß das Schauspiel einer früheren Periode der deutschen Literaturgeschichte angehört, wenn die pracht volle kräftige Sprache nicht fortwährend daran erinnerte, könnte man glauben, da- Werk sei ein auf unsere dermaligen politischen Zustände sich beziehendes Tendenzstück, so sehr paßt Alles, bis auf die kleinste Kleinigkeit auf die Jetztzeit, auf Deutschlands Ver hältnisse, seine Beziehungen zu einem kriegslustigen Nachbar rc. Mag nun wohl auch der Bearbeiter des Weckes dergleichen in dem Schauspiele enthaltene Andeutungen in ein noch helleres Licht gestellt haben, so geht doch au- Allem hervor, daß uns noch gegenwärtig der Schuh an derselben Stelle drückt, wie zu des Cheruskerfürsten und wie zu des Dichter- Kleist Zeilen, daß es eine alte Geschichte ist, die leider bi- jetzt noch immer neu ge- bliebm! Das schöne Werk ist die ernste Mahnung, die ein edler deutscher Sänger Deutschland- Fürsten und Völkern zuruft. Die schöne Kunst und besonders die der Schaubühne hat zu allen Zeiten und bei allen Völkern stets das Recht und die Pflicht ge habt, auf Hebung de- Volksbewußtseins, der Vaterlandsliebe hin zuwirken: in diesem Werke wird dieser Pflicht mit wahrer echter Begeisterung und so eindringlich und dennoch innerhalb der künst lerisch erlaubten Grenzen genügt, wie in wenig anderen. „Die yermannsschlacht" ist ein vaterländisches Schauspiel in der besten Bedeutung des Wortes. WaS die Ausführung des großen und ganz besonders viele Schwierigkeiten darbietenden Schauspiels anlangt, so ist vor Allem die Sorgfalt anzuerkennen, welche Direktion und Regie darauf verwendet haben. Die Scenirung und namentlich das Zusammen wirken der einzelnen Kräfte, wie der Massen sind als mustergültig zu bezeichnen. Den Darstellern sind hier — auch in den kleinen Rollen, die beiläufig der Mehrzahl nach genügend, einige selbst sehr gut besetzt waren — ganz besonder- schwere Aufgaben gestellt; vorzugsweise ist es die kraftvolle und schwungreiche Sprache, mit der hier große Anforderungen an die Ausführenden gemkcht wer den. Im Allgemeinen gelang es, diesen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. — Sehr befriedigt hat uns, abgesehen von einigen Ver sehen und namentlich einer merklich gewordenen Unsicherheit im zweiten Acte, Herrn Hanisch'S Wiedergabe der Hauptrolle, des Hermann. Die Auffassung und Anlage des Charakters, die Ein heitlichkeit der Durchführung, die Ausführung der großen gestei gerten Momente und besonders das Geltendmachen des Herzlichen, wie de- Humoristischen sind Dinge, die dem Darsteller nur zur Ehre gereichen. — Als das schöne edle Büd einer echten deutschen Frau stand neben diesem Hermann die ThuSnelda der Frau Wohlstadt. Eine tadellose, vortrefflich ausgearbeitete kraftvolle Leistung ist die de- Herrn Stürmer als Marbod. Den VaruS gab Herr Kühn- in sehr verständiger Auffassung und energischer Durchführung. Ebenso ist des Herrn C. Kühn als VentidiuS (eine sehr schwere Rolle) mit Anerkennung zu gedenkm. Hoffentlich wird da- schöne Werk nicht so bald wieder vom Repertoir verschwinden oder doch wenigsten- mehr alS eine oder zwei Aufführungen erleben. Die kleinen Mängel, die sich in der ersten Aufführung noch zeigten» und die trotz der größer« Sorgfalt beim Einstudiren bei der mehr al- gewöhnlichen Schwierigkeit des Werke- noch nicht ganz zu überwinden gewesen, werden bei Wieder holungen de- Drama'- voraussichtlich von selbst in Wegfall kom men, der Genuß diese- echten Kunstwerke- wird dann also ein noch ungetrübterer sein könnm. 8- Gleich.