Volltext Seite (XML)
38 - r al- an Menschen. ^enndch sind die Finanzverhältniffi gchabezu bodenlos, und machte der Finanzminister in seinem letzten Be richt auch kein Hehl daranS. DaS Metallgeld ist schon seit Jahren im Verkehr so gut wie ganz verschwunden, in den'letzten Monaten wurde aber, da die Regierung die Sparbanken revtdtren wollte und deshalb deren Zahlungen suSpendirte, auch die Papiergeldcirculation so knapp, daß, wie uns u. A. aus Petersburger und Moskauer Privat briefen bekannt ist, die höheren Gesellschaftsklassen die allgemeine Trauer um die Kaiserin-Mutter äußerst gelegen aufnahmen, um jedem Aufwand« gegenüber damit entschuldigt zu fein Die Staatsschuld betrug (amortisable und permanente), auf Silberrubel reducirt, am 1. Januar 1860: 555,012,127 R. Im Jahre 1859 wurden zur Bezahlung der Zinsen aller Schulden und zur Amortisation 34,462,826 R. verwendet! WaS den Geld markt wesentlich verschlimmerte, war das fortwährende Steigen der Einfuhr besonder- in Eisenbahnbedarf, Maschinen rc., wäh rend die Ausfuhr abnahm, also eine ungünstige Bilanz resultirte. Eine- jedoch muß man der russischen Regierung al- Ehre lassen, daß sie in Bezahlung ihrer Verbindlichkeiten jederzeit gewissenhaft gewesen ist und hierbei selbst große Opfer nicht gescheut hat. Die verschiedenen Operationen zur Reform de- CreditsystemS, so wie die mit dem 1. Januar zur Verkündigung gelangte Bauern- emancipation hatten natürlicherweise eine beträchtliche Zurücknahme der in den Credirinstituten deponirten Capitalien zur Folge und bereiteten neue Verlegenheiten. Am 1. Januar 1859 warm in den Creditinstituten 967,107,000 R. jederzeit kündbarer Capitalien deponirt. Der Umschlag bis 1. Septbr. 1860 war folgender: neu ringtlegt zurückgezogen vom I.Jan. bis I.Sept. 1859: 152,065,000 R. 202,345,000 R. - I.Sept. - 31.Dec. - 47,705,000 - 101,847,000 - - 31.Dec. - 1.Sept.1860: 39,257,000 - 132,348,000 - Total: 239,027,000 R. 436,530,000 R. Die Zahlen sprechen hier deutlicher als Worte. Die Wiederaufnahme der Functionen der AuSwechselungScasse dürfte nicht sobald zu erwarten sein. Ein Blick in die Lage der russischen Industrie ist nicht eben sehr erfreulich. Von den haupt sächlichsten industriellen Unternehmungen Haben21 bisher 19,217,000 Silberrubel verwirthschaftet. Die ganze Prämie beim höchsten Nominalpreise ihrer Aktien brachte 4,265,347 Silberrubel 5V Ko peken; der größte Verlust vom höchsten Preise betrug im Ganzen 11,248,371 Silberrubel oder 58*/, Proc. des Anlagekapitals. Auf da- Jahr 1860 entfallen von diesem Verlust 5,648,897 Silber rubel. — Es verlieren die Aktien der 21 Gesellschaften von ihrem ursprünglichen Werth außer der früheren Prämie 5,599,474 Sil berrubel oder ungefähr 30>. Aus vorstehender Rundschau über die volkSwirthschaftlichen Verhältnisse der alten und neuen Welt, zu welchen noch die drohende Krisis über Venetien, die Besetzung Syriens, die irischen und jonischen, rumänischen und ungarischen Agitationen kommen, dürfte sich zur Genüge der Stand unsere- Marktes erklären, der schließlich nur für Tuche einige Aussicht bietet. Unsere Fabrikation leidet außerdem noch immer an den verhältnißmäßig hohen Prei sen der meisten Rohstoffe. Wieske's Mörder. Gin dunkle- Blatt au- Leipzigs Verbrecher. Annalen. (Schluß.) Da traten plötzlich und zwar ziemlich unerwartet neue Zeugen gegen Schröder auf. DaS Cciminalamt, da- mit einer Unermüd lichkeit jede Spur verfolgte, die nur irgend zum Ziele führen konnte, hatte in der letzten Zeit noch einmal nach allen Seiten hin die Aufforderung erlassen, jeden, auch den geringfügigsten Umstand, der möglicherweise zur Ueberführung de- ThäterS dienen könnte, zur Kenntniß der UntersuchungSdehörde zu dringen. Dar auf erschien der Besitzer eines an der Hauptstraße von Leipzig nach Weimar gelegenen GasthofeS in Begleitung seiner Frau vor dem Criminalamte und letztere gab an: Sie erinnere sich genau, daß am Morgen nach WieSke's Ermordung und zwar noch vor Tage- Anbruch ein Fremder in ihrem Gasthause eingekehrt sei, der sich nicht nur durch eine auffällige Gestalt — er sei bucklig gewesen — ausgezeichnet, sondern insbesondere auch durch ein scheue-, verlesene- Auftreten verdächtig gemacht habe. Da sie allein in der Stube gewesen, sei eS ihr unheimlich in der Nähe de- Menschen geworden, weshalb sie ihren Mann gerufen habe. AuS dessen Aussagen aber ging Folgende- hervor. Der fragliche Fremde Hane zumal nach de- WirtheS Eintritt in da- Gastzimmer ein ungeduldige-, unstäteS Wesen gezeigt, war zuletzt an dm Schanktisch herangetreten, hatte den Beutel geöffnet, ein Goldstück hervorgezogen und den Wirth nach dessen Werthe befragt. ES war ein Ducaten gewesen von seltenem, alterthümlichen Gepräge, *) der Wirth hatte dessen Werth bestimmt, sich auch zur Einwechselung erbötig gezeigt, war jedoch zu letztem nicht gelangt, da der Ftwmds da- Gold schweigend wieder ringer steckt hatte. Langsam, still und gedankenvoll war er dann weiter gegangm, lange noch von Wirth und Wirchln beobachtet, die ihm nachsahen, diS er hinter einer Beugung der, Hauptstraße ver schwand. Vielleicht hatte er doch damals eine^ dunlke Ahnung davon, daß dieser Augenblick über fein ganze- künftigeS^Leben entscheiden sollte. Es ist merkwürdig und für eine Menge ähn licher Criminalfälle bezeichnend, daß auch der schlaueste Verbrecher nicht fetten einen an die größte Dummheit erinnernden Fehltritt begeht, der mit seinem sonstigen Auftreten seltsam contrastirt. Schröder jAbft hat mir einst offen gestanden, daß er nicht- mehr bereue als jene unbesonnme Einkehr am Morgen nach der That. Wirth und Wirthin, so wie später noch deren Magd erkannten in dem ihnen vor dem Crimiyalamte vorgeführten Schröder auf da- Bestimmteste jenen Fremde« wieder. Hinsichtlich de- frag lichen DucatenS aber wurde mit aller Zuverlässigkeit ermittelt, daß derselbe bei Wieske geraubt worden war. Schröder läugnete natürlich jme Einkehr, wie alle damit verbundenen Um stände, aber er that die- nicht mehr mit der Keckheit, die er früheren Beweisen gegenüber gestellt hatte. Er verwickelte sich in Widersprüche und eS wird versichert, daß er um jene Zeit mehr fach nahe daran gewesen, ein Geständniß abzulegen. Wettere- Beweismaterial hielt man nicht für nöthig und eS erfolgte denn auch wirklich nunmehr die Verurtheilung zu lebens länglicher Zuchthausstrafe I. Grade- durch ein Erkrnntniß, das in höchster Instanz bestätigt wurde. Im Jahre 1841 kam Schröder zum zweiten Male nach Wald heim. Er fand einen großen Theil der alten Genossen wieder, mit denen er einst frevlerisch über Sünde und Verbrechen gescherzt hatte, und sie nahten sich ihm vertraulich wie sonst. Aber Schrö der war der Alte, oder richtiger gesagt, der Junge nicht mehr. DaS Zuchthaus stand jetzt, da es — da- verhehlte er sich wohl kaum — selbst im günstigsten Falle auf viele Jahre hinaus sein bleibender Aufenthaltsort zu werden bestimmt war, bei ihm unter einem gänzlich veränderten Gesichtspunkte. Er war still und schweigsam geworden, zog sich zurück von jeglichem Verkehr; er ging bedächtig Schritt um Schritt, um sich anfänglich eine er trägliche, später eine leidliche, zuletzt — wenn man so sagen darf — eine ruhige und gemächliche Situation im Zuchthause zu ver^ schaffen. Und das ist ihm gelungen. Mag er auch von vorn herein unsägliche Mühe damit gehabt haben, denn der AnstaltS- director, der alte Christ, war ein Mann, der — um sein eignes Wort zu gebrauchen — für jede Art von Gleisnerei ein „verdammt dickes gell" hatte, aber in der Folge reüssirte Schröder um so glänzender. Er schritt Stufe um Stufe vorwärts, wußte zunächst die unteren, später die oberen Beamten für sich zu gewinnen und befand sich schon in den ersten Jahren seiner Detenrion im Besitz eine- sogenannten Vertrauensposten-, der ihn über die anderen Gefangenen stellte. Von der einen Seite betrachtet erscheint eine solche Bevorzugung gerechtfertigt, wenn man Schröder'- allerdings musterhafte äußere Führung als allein maßgebend im Auge behalt. * Man hat ihn mit einem Posten betraut, der mit großer Ver antwortlichkeit verknüpft ist. Er ist erster Krankenwärter, hat die verschiedenen den Kranken verordneten Medikamente in Verwah rung und dafür Sorge zu tragen, daß den ärztlichen Vorschriften in dieser Beziehung pünktlich Genüge geleistet werde. Er besitzt auch hierzu eine große Gewandtheit, wie überhaupt viel Umsicht und Thätigkeit, aber bedenklich bleibt diese Function in Schröder'- Händen doch immer. Wir haben schon oben bemerkt, daß es Schröder» mit diesem gleisnerischen Auftreten in der Strafanstalt zunächst um Erleichte rung seiner Lage in derselben zu thun war. Aber er verband mit dieser schlauen Berechnung noch einen zweiten wesentlicheren Zweck. Wie er während der ganzen langwierigen Untersuchung unablässig seine Unschuld betheuert und kern Mittel unversucht gelassen hat, um die Richter in dieser Beziehung zu täuschen, so ist auch im Zuchthause viele Jahre hindurch sein unablässiges Dichten und Trachten kein andere- gewesen, als den Glauben an diese „Un schuld" zu wecken, zu nähren und so möglicherweise zuletzt doch noch über Gesetz und Gerechtigkeit zu siegen. Indem er gleich von vornherein den unseligen Verdacht, der, wie wir im Eingänge er wähnten, unmittelbar nach der That sich gegen Unschuldige rich tete, immer wieder in den Vordergrund zu drängen bemüht war, hat er e- meisterhaft verstanden, jedem gegen ihn sprechenden Ver dachtsmoment die Spitze abzubrechen und durch wohl hundert Mal, aber stets mit der größten Übereinstimmung, wiederholte fälschliche Darlegung der Sachlage selbst minder leichtgläubige Hörer für sich zu gewinnen. ES ist Thatsache, daß nicht nur ein großer Theil seiner Mitgefangenen, sondern auch Andere an seine Unschuld ge glaubt haben. Ich habe oben von der Berechtigung gesprochen, die ich zur Veröffentlichung dieser Blätter zu haben glaube. Sie besteht darin, daß ich — selbst viele Jahre lang Gefangener — oft Gelegenheit gehabt habe, mit Schröder zu verkehren und inl, vertrauter" Stunde Manche- von ihm zu vernehmen, waS Andere vielleicht nie ver nommen hätten. Er hat mich in da- eisig-kalte Herz, da- nun *) Hin Sophienducaten, sofem wir nicht irren.