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Leipziger Tageblatt und Anzeiger. 228. Montag, den 16. August. 1847. Aus der Umgegend. Um das Leichenschauinstitut in ein günstigeres Licht zu setzen, als es bei Vielen steht, übergebe ich nachstehenden Fall der Oeffentlichkeit. Am 8. d. M. früh gegen 6 Uhr werde ich zu einer Leichenschau bestellt. Wie es nun bei einem prak tischen Arzte geht, einmal ist Gurkenzeit, ein andermal möchte er nach allen vier Winden zugleich hinauSgehen: so war ich auch an diesem Sonntagsmorgen in Verlegenheit, wohin ich mich zuerst wenden solle. Die Kranken, welche meine Hülfe besonders in Anspruch nahmen, lagen in Süden, Westen und Norden, der mir angemeldete Todte in Osten. Ich entschließe mich kurz, die Lebendigen zuerst zu besuchen, und dann den Tobten, weil doch einmal die Tobten auf unS Lebendige warten müssen. Um aber meine Pflicht, so bald wie möglich bei einer angemeldeten Leiche einzutreffen, nicht gar zu weit aus den Augen zu lassen, fasse ich mich möglichst kurz bei meinen Kranken, und lange, nach Zurücklegung von etwa zwei Stunden Weges, zwischen 9 und Iv Uhr in dem mir näher bezeichneten Hause zur Leichenschau an. Hier werde ich von der Hausfrau eine Treppe hoch in eine dunkle Bo- denkammer geführt, wo ich, nachdem der Laden geöffnet wor den, ein hageres, bleiches Mädchen mit verschlossenen Augen und auf der Decke ausgestreckten Aermen in einem Bette lie gen sehe, das sich mir bei näherer Betrachtung alsogleich als nicht lobt erweist. Ohne das auf der Stelle der Frau zu sagen, sondern mich der Vermuthung überlassend, daß durch den Boten ein Fehler in der Bestellung an mich begangen worden sei, erkundige ich mich bei der Hausfrau, ob das Mädchen vorher krank gewesen und welche Erscheinungen sich an ihr gezeigt hätten, um dadurch in den Stand gesetzt zu werden, zu beurtheilen, wo der Grund zu dem gegenwärtigen Zustande liege. Nachdem mir die Hausfrau Alles was sie wußte und auch des Mädchens Namen mitgetheilt hatte, wende ich mich nun zu dem Mädchen, fasse sie fest bei der Hand und rufe sie zu wiederholten Malen und mit lauter Stimme bei ihrem Taufnamen; aber erst beim dritten und stärksten Rufe schlägt das Mädchen die Augen auf, zappelt krampfhaft mit allen Theilen ihres Körpers und schreit in verworrener Rede laut auf. Jetzt erst erkenne ich meinen Fehler, daß ich der Hausfrau, welche wirklich die Ueberzeugung gehabt hatte, das Mädchen sei todt, das Gegentheil davon nicht von vorn herein gesagt hatte. Sie prallte vor Schrecken und Entsetzen zurück und wurde leichenblaß. Ich konnte nun weiter nichts thun, als sie im Auge behalten, während ich das wiedererwachte Mädchen noch weiter zu sich zu bringen und zu beruhigen suchte. Das gelang mir denn auch in kurzer Zeit so weit, daß mir das Mädchen in vernünftiger Rede ihre ganze Lebensgeschichte erzählen konnte, wobei die Hausfrau zusehends wieder Muth faßte. Es würde zu weit führen, wenn ich die Lebensgeschjchte des Mädchens hier wie dergeben wollte; nur so viel sei mir erlaubt, zu bemerken, daß es eins von öen vielen unglücklichen Kindern ist, welche im ällerlichen Hause fast jeder Pflege entbehren müssen und des- halb häufig in ihrer Entwickelung so beeinträchtigt werden, empfinden, wie einem Gesunden behaglich zu Murhe ,st. Dieies Margen Ham si», nachdem sie sich schon Ege Tage besonders unwohl gefühlt, ermattet von de» ^.ages Last und Lange, AdendS niedergelegt und war in einen krankhaften Schlaf verfallen, aus welchem sie der Hausherr rotz Rufens und Rüttelns nicht hatte ermuntern können, so daß sre, wozu thr Habitus recht wohl Veranlassung geben .todt genommen worden war. Wie, wenn der- setbe Fall bet 15 ober 20 Grad Kälte vorkam und der Herr» jchafl vielleicht das Bett dauerte, worin die Todt^eglaubte lag, und ich vielleicht noch länger bis zur Schau ausgeblieben wäre? — Das Mädchen lebt, Gott sei Dank, und befindet sich wieder so wohl, daß sie ihre Dienste zu leisten vermag. Möckern, den 13. August 1847. 1)r. Wille. Auch ein Wort über die Entstehung und Behandlung der Wasserscheu (rabiv8 esninn). In Nr. 2!4 sg. des Leipziger Tageblattes finden sich einige wichtige Data über obengenannte Krankheit. Dies giebt dem Schreiber dieses Veranlassung, da in jenen Auf lätzen des Hummelschen oder Staritzer Geheimmiltels gegen Hundswuch gedacht wird, einen Fall mitzucheilen, welcher darthun mag, wie nölhig es ist, ein solches Volksmittel gänzlich zu verpönen: Vor einigen Jahren wurde in Döbeltitz bei Belgern an der Elbe ein Knabe von circa 8 Jahren von einem anscheinend tollen Hunde gebissen. Die Aeltern des Kindes, anstatt fich. an einen Arzt ober Wundarzt zu wenden, schickten nach Staritz bei Mühlberg und ließen sich das Hummelsche Mittel geben. Dies wurde noch an demselben Abende dem Kinde eingegeben. Augenblicklich traten hiernach die heftigsten Harn, beschwerden rc. ein, das Kind wurde immer kranker, es ge sellten sich Krämpfe hinzu und unter den heftigsten Schmerzen und Urinbeschwerden, ohne daß ärztliche Hülfe beansprucht wurde, starb dieser sonst gesunde und hoffnungsvolle Knabe. Die Beerdigung erfolgte ohne Weiteres; aber wie es ge wöhnlich geht, es wurde doch hier und dort über diesen plötzlichen Todesfall gesprochen; das Gericht erfuhr es und es wurde Seitens desselben darauf angetragen, daß der Leichnam dem Schooße der Erde entnommen und gerichtlich secirt wurde. Der Sectionsbefund ergab: daß der Tod durch das Hummelsche Mittel, welches aus Maiwurm (Meloe ma^ulirr) und rohem Metall besteht, erfolgt sei. — Um über die Entstehung und die Behandlung der Hunds- wuth, wie oben gesagt, einige Bemerkungen zu machen, sei mirs vergönnt, folgendes anzuführen: Die Hundswuth kommt nickt in allen Gegenden und Ländern vor, z. B. man findet sie nicht bei den muhameda- nischen Völkern des Orients, welches daher kommen soll, daß bei diesen Völkern es Sitte ist, daß das Aas aller ge fallenen Thiere auf die Straße geworfen wird, wo sich dann die Hunde schaarenweise versammeln und mit einer wahren