78 §. 11. Erster Tlieil. Drittes Oapitel. Rene Deseartes (Cartesius) *) wurde zu La Haye in dem ehemaligen Departement Touraine den 31. März 1596 geboren und stammt aus einer adeligen bretagnischen begüterten Familie. Im Jesuitencollegium zu La Fleche erzogen, studirte er mit besonderem Eifer klassische Literatur, Mathematik und I’hilosopliie. Hier schloß er mit Mersenne eine Jugendfreundscliaft. die bis an das Ende seines Lebens dauerte. Zum Unterschiede von seinem Bruder wurde er nach dem Familiengute Perron genannt ; in der gelehrten Welt latinisirte sich dieser Karne in „Renatus Cartesius“. Im August des Jahres 1612 schließt Deseartes mit dem Verlassen der Schule von La Fleche die Periode der Schulbildung, welcher letzteren die Periode der Selbstbildung und zwar einer Selbstbildung im buchstäblichen Sinne folgt. Indeß bestimmte ihn der Vater nach der Familiensitte zur mili tärischen Laufbahn, weshalb er sich, um seinen Körper zu stärken, von 1612 bis 1613 im väterlichen Hause zu Rennes in einer den Wissenschaften abge kehrten Muße den ritterlichen Künsten widmete. Im Jahre 1613 kommt er nach Paris, lebt dort erst in allerlei Zer streuungen, deren er jedoch bald überdrüssig wird und verschwändet glücklich aus der vornehmen Gesellschaft. Nun lebte er von 1614 bis 1616 in der Welt stadt selbst vor seinen Eltern tief verborgen nur mit Mathematik beschäftigt und im Verkehr mit einigen wissenschaftlichen Freunden, die seinen Aufent halt geheim hielten. Zu dieser Zeit waren die Zustände des französischen Hofes die schlimm sten unter der Herrschaft der Maria von Medici, ihrer Günstlinge Riche lieu und Marschall d’Ancre und des bevormundeten, schwachen Königs Ludwig XIII. Natürlich daß unter solchen Umständen Deseartes die franzö sische Armee mied und im Mai 1617 nach Holland ging, wo er in Breda als Freiwilliger in die Dienste des Statthalters der Niederlande trat. Im Jahre 1619 verlässt er den holländischen Militärdienst und nimmt Dienste im baieri- schen Deere, welch letzteres sich mit der kaiserlichen Armee vereinigt, 1620 in der Schlacht bei Prag (Schlacht auf dem weissen Berge) den böhmischen Aufstand besiegt und den Wahlkönig Friedrich V. von der Pfalz seiner Länder verlustig macht. Deseartes diente dann noch in der österreichischen Armee in Ungarn mit Auszeichnung. Indessen ist von der kriegerischen Lauf bahn Deseartes’ nicht viel Aufhebens zu machen; seine Kriegsdienste waren im Grunde nichts anderes als ein Mittel sich in der Welt umzusehen und von seinen mechanischen Erfindungen und seiner wissenschaftlichen Kunst auf Be festigungen und Belagerungen Anwendung machen zu können. Er verläßt 1621 die Kriegsdienste, bereist namentlich Norddeutschland und Holland und kehrt im März 1622 nach Frankreich zurück. Von 1623 an lebt er mit wenigen Unterbrechungen in Paris. Sein Hauptstudium in dieser Zeit ist nicht mehr die Mathematik, sondern die menschliche Natur, nachdem „er so vieler Men schen Städte gesehen und Sinne erkannt hat“ 2 ). Indeß überzeugte er sich bald, daß Paris nicht der Ort sei, an welchem er seinen Lebensplan, ein festes philosophisches System auszubilden, ausführen 1) Vorzugsweise bearbeitet nach Kuno Fischer, ,Geschichte der neueren Philosophie 1 , Bd. I, „Deseartes und seine Schule“, (zweite Auflage), 18G5. 2) Fischer, a. a. O., S. 1G7.