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§. 27. Vom letzten Drittel des 18. bis zum ersten Drittel des 19. Jahrh. 295 Der eigenthümliche Charakter des Principes der virtuellen Geschwindig keiten besteht darin, daß es eine allgemeine Formel zur Auflösung aller stati schen Aufgaben, und so der Stellvertreter aller anderen Principe ist, ohne je doch das Creditiv so unmittelbar aufzuweisen, daß es sich, sowie es nur aus gesprochen wird, schon von selbst als plausibel empföhle. In dieser Beziehung scheint das Princip, welches ich hier aufstellen werde, den Vorzug zu haben: es hat aber auch noch den zweiten, daß es das Gesetz der Bewegung und der Buhe auf ganz gleiche Art in größter Allgemeinheit umfaßt. Das neue Princip ist nun folgendes: Die Bewegung eines Systemes materieller, auf was immer für eine Art unter sich verknüpfter Punkte, deren Bewegungen zugleich an was immer für äußere Beschränkungen gebunden sind, geschieht in jedem Augenblicke in möglichst größter Uebereinstimmung mit der freien Bewegung, oder unter mög lichst kleinstem Zwange, indem man als Maaß desZwanges, den das ganze System in jedem Zeittheile erleidet, die Summe der Producte aus dem Quadrate der Ablenkung jedes Punktes von seiner freien Bewegung in seine Masse betrachtet“. Da der Verfasser gegenwärtigen Buches in erster Linie die Studiren- den technischer Hochschulen im Auge behalten muß, so unterläßt er die Auf nahme der von Gauß selbst geführten Herleitung seines Princips aus dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten und copirt dafür ein (richtiges) Ur- theil des Herrn Oberbaurath Scheffler in Braunschweig über dasselbe unter gleichzeitiger Empfehlung des ganzen betreffenden Artikels und seiner An wendungen *). Scheffler bemerkt als Einleitung folgendes: „Daß sich das Gauß’sehe Grundgesetz nicht einer allgemeinen Bekannt schaft erfreut, hat vielleicht seinen Grund in der dem Erfinder eigenen ge lehrten Kürze der Darstellung, wodurch das eigentliche Wesen jenes Gesetzes und seine Beziehung zu den übrigen allgemeinen Grundgesetzen der Mechanik manchem nicht klar genug vor Augen getreten sein mag. Demnach dürfte es rathsam sein, die Aufmerksamkeit des mathematischen Publikums auf jenes wichtige Gesetz mit einigem Nachdruck zu lenken und zu diesem Ende das Gesetz selbst etwas ausführlicher zu erläutern 2 ) und die Anwendungen des selben auf specielle Fälle zu veranschaulichen“. 1)Scheffler’s überhaupt empfehlenswerthe Abhandlung ist betitelt: ,Ueber das Ganß’sche Grundgesetz der Mechanik“. Abgedruckt in der ,Zeitschrift für Mathematik und Physik 1 von Schlömilch und Witschel. 3. Jahrg. (1850), S. 196 und S. 260. 2) Scheffler nimmt (sehr zweckmäßig) zum Beweise des Grundgesetzes eine Figur zur Hülfe, erörtert dessen Beziehungen zu dem d’Alembert’schen Principe, sowie dem der virtuellen Geschwindigkeiten und wendet das G a u ß ’ sehe Gesetz auf die Pendelbewegung und auf das Gleichgewicht des Hebels an, ferner macht er interessante Rückblicke auf Maupertuis’ Princip der kleinsten Wir-