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§. 19. Das achtzehnte Jahrhundert. 177 achse, die wie folgt lautet: „Eine freie Drehachse 1 ) ist in einem beliebigen starren Körper eine solche Achse, welche, während der Körper sich um sie dreht, keine Kräfte in Folge dieser Bewegung auszuhalten hat“ 2 ). Im Capitel XV (S. 423, §. 784) hebt Euler Folgendes hervor: „Auf welche Weise ein starrer durch beliebige Kräfte angetriebener Kör per sich auch völlig frei bewegen mag, so wird seine Bewegung zu jeder Zeit in eine fortschreitende, mit welcher der Mittelpunkt der Trägheit fort rückt und in eine drehende Bewegung um eine beliebige, durch den Mit telpunkt der Trägheit gehende, Achse zerlegt. Daher enthält die KenntniP dieser Bewegung folgende vier Elemente: 1) Die Geschwindigkeit des Mittelpunktes der Trägheit; 2) Die Richtung, in welcher er sich bewegt; 3) Die durch den Mittelpunkt der Trägheit gehende Achse, um welche der Körper sich dreht, und 4) Die Winkelgeschwindigkeit dieser Bewegung. Hat man diese vier Umstände erkannt, so wird man von der Bewegung des Körpers in diesem Augenblicke eine vollständige Vorstellung haben etc.“ Bald am Ende des ganzen Werkes, §. 1015 und §. 1016, gelangt er end lich (unter der Leberschrift: „Xeue Methode, die Bewegung starrer Körper zu bestimmen“) zu sechs Gleichungen (Differenzialgleichungen), wodurch man die Gesetze der Bewegung eines starren, vollkommen freien Kör- 1) Die höchst wichtige Eigenschaft, daP es in jedem festen Körper, er sei gestaltet wie er wolle, drei freie Achsen giebt, die sich in seinem Schwerpunkt senkrecht durchschneiden, hat 1755 der Professor Segner in Göttingen ent deckt. Segner wurde 1704 in PrePburg geboren und starb 1777 zu Halle. Er war zuerst praktischer Arzt in PrePburg, dann Professor an der Universität Jena und nachher von 1735 bis 1755 Professor an der Universität Göttingen, von wo er nach Halle berufen zum Geheimen-ßath ernannt und zugleich geadelt wurde. In Göttingen war es besonders, wo er zu dem Glanze dieser neuen Universität durch seine mathematischen Arbeiten beitrug. Noch heute werden die von ihm erfundenen Reactions-Turbinen mit geraden Armen oder Canälen, als Segner sehe Wasserräder bezeichnet, wovon er bereits 1750 ein solches Rad znm Be triebe einer Getreidemühle zu Nörten unweit Göttingen auszuführen und in Gang zu bringen Gelegenheit fand. Eine Abbildung dieses Segner’schen Wasser rades findet sich in der ,Allgemeinen Maschinenlehre* des Verfassers Bd. 1, zweite Auflage, S. 364. 2) Jede freie Achse eines Körpers muP durch dessen Schwerpunkt gehen. Aber nicht jede durch den Schwerpunkt eines Körpers gehende Achse ist deshalb eine freie Achse, sondern nur die Achsen, welche zugleich Hauptachsen des Kör pers sind. Dreht sich daher ein Körper um eine derjenigen seiner drei Haupt achsen, welche sich in seinem Schwerpunkte schneiden, so erzeugen die Centri- fugalkräfte aller seiner materiellen Theile keinen Druck gegen die Umdrehachse. Für den Astronomen ist das Capitel der freien Achsen von der gröpten Wichtigkeit, aber auch für die technische Mechanik geht die höchst zn be achtende Lehre hervor, daP man suchen muP die Drehachsen in Bewegung be findlicher Maschinentheile (möglichst) zu freien Achsen zu gestalten. Rühlraann, Vorträge. 10